Herzlich Willkommen zum heutigen Gesprächskreis, im Vergleich zum sonstigen Ablauf mit einem etwas anderen, neuen Format.
Benedikt von Nursia, er gilt heute als Patron Europas, schrieb vor 1500 Jahren eine Ordensregel, an der sich seitdem Benediktinerklöster auf der ganzen Welt in ihrem Lebensalltag und Tagesablauf orientieren. Diese ist übrigens noch heute für nicht wenige, zum Teil hochrangige Führungskräfte in Fragen der Führungskompetenz eine Quelle der Inspiration. Darin finden wir auch in Bezug auf unsere heutige Veranstaltung folgenden hilfreichen Rat: „Der Abt (gemeint ist der Vorsteher des Klosters) solle bei wichtigen Entscheidungen den Rat aller einholen, auch der Jüngeren, weil sie oft wüssten, was das Bessere ist.“ (Kap. 3, Abs. 3)
In diesem Sinne lassen wir uns heute gerne von Jüngeren inspirieren. Wir freuen uns, drei Vertreter der jüngeren Generation als Gesprächspartner in unserem Kreis begrüßen zu können: Tamara Wiech, Amelie Schilling und Joèl Hamers. Herzlich willkommen!
Rudolf Uricher hat dankenswerterweise diese Veranstaltung vorbereitet. Er wird uns zunächst ins Thema einführen und mit den Jugendvertretern in Form eines Interviews relevante Aspekte des Themas ‚Partizipation junger Menschen in Politik und Gesellschaft‘ diskutieren, bevor wir im Plenum die Diskussion weiterführen.
Informationen zu den in der Präsentation genannten Studien sind über folgende Links erreichbar:
Sinus-Studie: https://www.sinus-institut.de/media-center/presse/sinus-jugendstudie-2024
Shell-Studie: https://www.shell.de/ueber-uns/initiativen/shell-jugendstudie-2024/informationsmaterial-2024.html
(Moderation: Rudolf Uricher, Protokoll: Winfried Thaa)
Rudolf Uricher formuliert auf Grundlage der in seinem Impuls vorgestellten Studien von Shell und des SINUS-Instituts verschiedene Fragen (jeweils fett gedruckt) an die Teilnehmer:
Was war ausschlaggebend für euer politisches Engagement? Gab es ein besonderes Ereignis oder Erlebnis, aufgrund dessen ihr begonnen habt, euch politisch zu betätigen?
Amelie Schilling erzählt von einer früheren, persönlichen Erfahrung: Als sie mit der Klasse den Fahrradführerschein machte, beschwerte sie sich über eine zu hohe Hecke im Weggental, die ihr und anderen Kindern beim Abbiegen den Blick versperrte. Eine Woche später war die Hecke gekürzt und sie hatte dadurch das Gefühl „ich kann was verändern“.
Joèl Hamers kann kein konkretes Thema oder Ereignis nennen, meint aber, dass ihn eher Neugier und Interesse an politischen Themen motiviert habe.
Tamara Wiech erzählt, sie sei eher „reingerutscht“ über ihre kirchlichen und ehrenamtlichen Aktivitäten.
Was sind eure politischen Themen, die euch beschäftigen, allgemein und in Rottenburg?
Tamara Wiech meint, altersgemäß sei für sie wirtschaftliche Sicherheit und Arbeit das dominante Thema und sieht das ähnlich für ihre gleichaltrigen Freunde. Daneben drehen sich viele Gespräche um die Wohnungsfrage, wobei allerdings hier der Kommune Grenzen gesetzt seien.
Joèl Hamers nennt ebenfalls wirtschaftliche Sicherheit als wichtiges Thema sowie Mitbestimmung. Daneben spiele für ihn auch die Auseinandersetzung mit rechtswidrigen Aktionen zur Durchsetzung politischer Ziele eine große Rolle, über die in der Schule unter Gleichaltrigen immer wieder diskutiert werde. Auch lernen wir in der Schule viel über Demokratie.
Amelie Schilling nennt ebenso die wirtschaftlichen Möglichkeiten, um das Leben zu finanzieren und das Studium als wichtige Themen, daneben aber speziell für Rottenburg das Thema Sicherheit und Straßenbeleuchtung sowie die zu wenigen Ausgehmöglichkeiten für junge Menschen.
Joèl Hamers widerspricht da insofern, als er betont, dass in und um Rottenburg, gerade auf den Dörfern, immer wieder attraktive Veranstaltungen stattfinden. Das Problem sei allerdings, dorthin und mehr noch, mitten in der Nacht wieder zurück zu kommen.
Welche Erfahrungen macht Ihr bei Eurem Engagement, insbesondere mit Erwachsenen? Fühlt Ihr Euch akzeptiert und respektiert?
Tamara Wiech: Als Gemeinderätin wird man von den älteren Kollegen durchaus ernst genommen. Persönlich habe sie sich immer wohl gefühlt. Im Übrigen waren auch viele andere neu im Gemeinderat. Man hat ja schließlich auch eine Stimme, genau wie sie. Anders sieht es aus, wenn es darum geht, über Parteilisten in den Gemeinderat gewählt zu werden. Da haben Jüngere oft schlechte Chancen, auf einen aussichtsreichen Platz gewählt zu werden. Speziell die Arbeit in den Ausschüssen stellt von der Sache her eine Herausforderung dar. Da muss man sich als neues Gemeinderatsmitglied erst einmal mühevoll einarbeiten.
Amelie Schilling: Sie findet es zunächst einmal schwierig, überhaupt reinzukommen. Es sei schade, dass die Jungen offensichtlich weniger gewählt würden. So schaffte es bei der letzten Kommunalwahl über die Liste der CDU keiner der Jüngeren in den Gemeinderat.
Joèl Hamers fühlt sich bei seinen politischen Aktivitäten insgesamt respektiert. Wenn man anderen mit Respekt begegnet, wird man selbst in der Regel auch gut aufgenommen.
Wie und über welche Quellen informiert Ihr und Eure Mitstreiter/innen Euch?
Joèl Hamers: Ganz klassisch, meist über die Tagesschau um acht Uhr oder auch über die Apps der öffentlich-rechtlichen Sender im Internet.
Amelie Schilling hört regelmäßig Radio auf dem Weg zur Schule, schaut aber auch Tagesschau im Netz.
Tamara Wiech hört viel Nachrichtenpodcasts, liest aber auch Zeitung. Allgemein wird von Jungen politische Information viel über die Push-Nachrichten im Netz aufgenommen. Wenn dort ein Artikel angekündigt wird mit „8 Minuten Lesezeit“, dann aber eher nicht.
Wie findet in der Altersgruppe Meinungsbildung statt?
Joèl Hamers erwähnt das Projekt Demo-Slam. Da hat er mitgemacht, auch weil Diskussionen in der Schule mit Gleichaltrigen oft unbefriedigend bleiben. Das Format Demo-Slam setzt mehr darauf, den anderen Standpunkt besser zu verstehen, als sich mit der eigenen Position durchzusetzen. Die politische Bildung in der Schule bietet nicht die besten Voraussetzungen für Diskussionen unter den Schülern. Während des Unterrichts würde man sich nicht unbedingt offen miteinander auseinandersetzen.
Amelie Schilling findet es oft schwierig, in der Schule über Themen zu diskutieren, mit denen man sich wenig identifiziert. Sie diskutiert deshalb mehr zu Hause. Wichtig sei, verstanden zu werden.
Tamara Wiech diskutiert viel im Freundeskreis, da vor allem über kommunalpolitische Themen.
Joèl Hamers: Es gibt immer wieder Leute, die ihre Position nicht demokratisch durchsetzen wollen, auch in Diskussionen mit Gleichaltrigen. Ein weiterer Punkt betrifft den Widerspruch zwischen der allgemeinen Ablehnung von Ausgrenzung einerseits und der häufigen Ausgrenzung politisch Rechter andererseits.
Welche Ideen gibt es, Leute wieder stärker politisch einzubeziehen?
Amelie Schilling nennt zwei Punkte: Es fehle jungen Menschen häufig an Informationen und oft seien junge und alte Menschen jeweils zu sehr unter sich.
Tamara Wiech: Wie man Leute zum Wählen bringt, war für sie Thema bei der letzten Gemeinderatswahl. Ihre Erfahrungen zeigten: Vor allem über persönlichen Bezug und Betroffenheit.
Joèl Hamers erklärt, dass er auch Kontakte zu Haupt- und Realschülern habe und findet da wenig Unterschiede. Allenfalls sei festzustellen, dass diese Schüler näher an der Realität seien als Gymnasiasten.
Tamara Wiech stellt in Bezug auf den Gemeinderat fest, dass dieser nicht repräsentativ sei. Es gebe dort zu viele Beamte und zu wenig Handwerker.
Amelie Schilling: Einen wirklichen Unterschied könne sie nicht feststellen, wenn man wolle, könne man mit allen diskutieren.
Rudolf Uricher verweist auf die beiden Studien, in denen Jugendliche mit Migrationshintergrund repräsentativ berücksichtigt seien. (Hinweis: In der Zusammenfassung der Shell-Studie 2024, der Pressemitteilung und den Info-Grafiken sind keine getrennten Auswertungen für junge Menschen mit Migrationshintergrund enthalten. In der SINUS-Studie sind zwar Aussagen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zitiert, eine vergleichende statistische Auswertung ist jedoch nicht enthalten.)
Auf die Forderung nach mehr Jugendtreffs antwortet Amelie Schilling, dass es fast in jedem Dorf ein Jugendhaus gebe.
Joèl Hamers meint, dass er trotz Migrationshintergrund (seine Eltern kommen aus den Niederlanden) hier keine Diskriminierungserfahrungen mache. Dass dies aussagekräftig für andere Migrantengruppen sei, wird aus dem Publikum bezweifelt und noch einmal auf die Wünschbarkeit von mehr Begegnungsstätten für verschiedene Gruppen von Jugendlichen verwiesen.
Tamara Wiech antwortet darauf, dass derzeit, vielleicht auch wegen der aktuellen wirtschaftlichen Krise, das Thema wirtschaftliche Stabilität sehr im Vordergrund stehe.
Amelie Schilling antwortet auf die AfD-Frage mit dem Hinweis auf die gerade bei Jüngeren typischerweise starken Wünsche nach Veränderung, welche die AfD ansprechen könne. Zur Verbesserung der Kommunikation wünsche sie sich von der älteren Generation vor allem mehr offenes Interesse an Gesprächen mit jungen Menschen, dann könne was draus werden.
Joèl Hamers kennt den genannten Begriff nicht und sieht eigentlich keine großen Hürden zwischen Alt und Jung. Die Attraktivität der AfD erklärt er zum Teil damit, dass sie verspricht, etwas zu machen, nicht nur zu reden.
Tamara Wiech meint, die AfD habe es leicht, Versprechen zu machen. Einfache Antworten kämen bei Jungen u. U. gut an, die Komplexität von Kompromissen und der Hinweis auf Koalitionszwänge schrecke dagegen eher ab.
Am Ende der Diskussion hält Rudolf Uricher als wesentlichen Punkt fest, dass es gelte Gesprächsplattformen zu schaffen, damit z. B. mehr generationsübergreifende Kommunikation stattfinden und eine bessere Durchlässigkeit der Lebenswelten erreicht werden kann.
Rudolf Uricher bedankt sich bei Amelie Schilling, Joèl Hamers und Tamara Wiech für ihre engagierte Mitwirkung sowie bei Frau Behrens, der Leiterin der Abt. Jugend bei der Stadt, für die gute Unterstützung bei der Vorbereitung dieser Veranstaltung.
Karl Schneiderhan bedankt sich bei Rudolf Uricher, der mit Sachkenntnis, Herzblut und Leidenschaft diesen Gesprächskreis vorbereitet und moderiert hat.
Abschließend dankt Karl Schneiderhan namens des politischen Gesprächskreises der Leiterin der Stadtbibliothek, Frau Ruth Bolle, die Ende des Jahres in den Ruhestand gehen wird. Frau Bolle war für den politischen Gesprächskreis eine wichtige Bezugsperson und zwar in dreifacher Hinsicht:
Namens des politischen Gesprächskreises dankt Karl Schneiderhan Frau Bolle herzlich für die verlässliche Zusammenarbeit und wohlwollende Unterstützung. Für ihren neuen Lebensabschnitt wünscht er ihr vor allem Gesundheit und Wohlergehen und, so habe er in Büchern übers Älterwerden lesen können, ein inneres Weiterwachsen in dieser neuen Lebensphase.
Als Zeichen des Dankes überreicht er als symbolisches Geschenk eine anlässlich 75 Jahre Grundgesetz jüngst vom Bundestag herausgegebene Originalfassung von 1949 mit allen Unterschriften der damaligen Gründungsväter und -mütter. Dieses soll sie an den politischen Gesprächskreis Stadtbibliothek erinnern.
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