28.10.2024: Noch einmal Trump? - Die Präsidentschaftswahl 2024 in den USA
1. Begrüßung und Einführung (Karl Schneiderhan)
Im Namen des Organisationsteams begrüße ich Sie zum heutigen Gesprächskreis. Wir freuen uns über das so rege Interesse am Thema. Das Thema, das wir für heute ausgewählt haben, ist nicht nur aktuell, es bewegt auch in Deutschland viele Menschen: Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA zwischen Harris und Trump. Ex-Präsident Donald Trump bewirbt sich zum dritten Mal als Kandidat der republikanischen Partei und nach dem Rückzug von US-Präsident Joe Biden aus dem Wahlkampf im Juli d. J. ging seine Vize Kamala Harris für die Demokraten ins Rennen. Schafft es Vizepräsidentin Kamala Harris, das Weiße Haus in der Hand der Demokraten zu halten oder wird es Donald Trump gelingen, ein zweites Mal ins Oval Office einzuziehen? Ginge es nach den Wählern in Deutschland, wäre die Sache klar, denn die überwiegende Mehrheit würde sich für Kamala Harris entscheiden, nicht einmal 10% für Donald Trump. In den USA dagegen sagen alle Umfragen, wie bereits vor vier Jahren, ein knappes Rennen voraus.
Im Unterschied zu heute galten die USA in den 1950er Jahren noch als Vorbild einer stabilen Demokratie. In den folgenden Jahrzehnten allerdings veränderten Globalisierung, Einwanderung, Wertewandel und Medienrevolution die amerikanische Gesellschaft dramatisch. Die Folge sind unerbittliche Kulturkämpfe und eine geradezu unversöhnliche Polarisierung der politischen Lager. Amerikas Demokratie scheint heute zum Krisenfall geworden zu sein. Der Historiker Manfred Berg, einer der besten Kenner der USA, erzählt in seinem jüngsten Buch „Das gespaltene Haus“ die lange Geschichte einer fortschreitenden Spaltung in den USA. Ähnliche Einschätzungen zur amerikanischen Wirklichkeit boten in den letzten Tagen auch Dokumentationen auf verschiedenen Fernsehkanälen, wie ‚Demokratie unter Beschuss‘, ‚Aufstieg der Ultrarechten und Rolle der Evangelikalen‘, ‚Die Unversöhnlichen‘ oder ‚Das zerrissene Amerika‘ sowie vor wenigen Tagen in Tübingen der langjährige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, bei einem Gespräch mit der mit der Bundestagsabgeordneten Annette Widmann-Mauz.
Im heutigen Gesprächskreis wollen wir das Wahlkampfgeschehen im Kontext aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen in den USA diskutieren und auch danach fragen, wie es sich erklären lässt, dass ein Kandidat, der wie kein anderer für Hass, Hetze und notorisches Lügen steht und trotz gerichtlicher Verurteilung wegen Betrugs und seiner offensichtlichen Anstiftung zur Wahlfälschung, die Massen begeistert und durchaus gute Chancen hat, erneut zum Präsidenten gewählt zu werden. Eine weitere Frage wird sein, welche Auswirkungen das mögliche Wahlergebnis für Europa und für Deutschland haben werden.
Winfried Thaa wird uns in drei Schritten in das Thema einführen. Zunächst geht es um strukturelle und historische Besonderheiten des amerikanischen politischen Systems. Zweitens wird die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft, ihre zunehmende ökonomische und kulturelle Polarisierung thematisiert und drittens die Wahlkampfstrategien der beiden Kandidaten und ihre Erfolgschancen.
2. Impuls (Winfried Thaa)
1. Einleitung
In einigen Tagen sind wieder Präsidentschaftswahlen in den USA. Und wie vor vier Jahren beschäftigen wir uns mit der Frage, weshalb eine Figur wie Donald Trump gute Chancen hat, wieder zum amerikanischen Präsidenten gewählt zu werden.
Ginge es nach den Wählern in Deutschland wäre die Sache klar:
Folie 2 Deutschlandtrend der ARD
8% für Trump
Wenn wir uns die Umfragewerte der AfD in Erinnerung rufen, bedeutet das, dass nicht einmal die Hälfte der AfD Wähler Trump als amerikanischen Präsidenten Kamala Harris vorziehen würden.
Leider sieht das in den USA deutlich anders aus. Obwohl Trump wegen Betrugs verurteilt wurde, obwohl eine Anklage gegen ihn wegen versuchten Wahlbetrugs anhängig ist und trotz – oder vielleicht aber auch wegen, seiner notorischen Lügen, seiner Verleumdungen und Hetztiraden hat Trump gute Chancen, in den Einzelstaaten der USA eine Mehrheit der Wahlmänner zu gewinnen.
Angesichts dieser Situation vermitteln die Medien in D den Eindruck: die spinnen die Amerikaner! Ungefähr die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung scheint bereit, einen ordinären, durchgeknallten und brandgefährlichen Narzissten zum 2. Mal ins mächtigste Amt der Welt zu wählen.
Dieser Eindruck kommt nicht von ungefähr. Ich zitiere John Niven aus dem Feuilleton der SZ vom Fr 25.10., der noch einmal den Wahlsieg von 2016 zusammenfasst:
Vergesssen wir erst mal alles, was wir über die „Vernachlässigten“ aus der Arbeiterschicht und die „vergessenen Amerikaner“ gehört haben und all den anderen Quatsch. Es sieht so aus: Ein erheblicher Prozentsatz der dümmsten und rassistischen Menschen in Amerika hat sich entschlossen, Trump zu ihrem Mann zu machen. Zu ihnen gesellte sich ein erheblicher Prozentsatz gieriger, moralfreier Milliardäre, die zwar wussten, dass Trump ein Idiot ist, die aber seine geplanten Steuersenkungen richtig gut fanden.
Ich möchte diesem Eindruck etwas entgegensetzen. Nicht dadurch, dass ich ein positiveres Bild von Trump zeichne, sondern eher, indem ich der Frage nachgehe, wie es dazu kommen konnte, dass die älteste, vor nicht allzu langer Zeit noch für sehr stabil gehaltene moderne Demokratie in Gefahr steht, zur Beute eines Typen wie Trump zu werden.
Meine Antwort darauf lässt sich in vier Thesen vorwegnehmen:
Erstens: der Erfolg Trumps wird nur möglich durch die besondere Struktur des amerikanischen politischen Systems und die seit einigen Jahrzehnten anhaltenden Schwächung seiner Institutionen, insbesondere der Parteien und ihrer Repräsentationsfunktion;
Folie 3 Thesen
Zweitens: Trump ist ein Wutphänomen, wir müssen also genauer schauen, woher die in der US-Gesellschaft weit verbreitete Unzufriedenheit, das Gefühl der Benachteiligung und die Wut kommt, und wieso Trump sich zum Sprachrohr dieser Emotionen machen konnte;
Drittens: Den Republikanern und Trump gelingt es, Klassenkonflikte zu kulturalisieren und in Identitätsfragen zu verwandeln,
und viertens liegen die Erfolgschancen Trumps in spezifischen Schwierigkeiten des Wahlkampfes seiner Gegnerin, Kamala Harris.
Folie 4 Gliederung
2. Die Besonderheiten der Präsidentschaftswahl in den USA
Der amerikanische Präsident wird nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt, wobei aber die entscheidende Auszählung der Stimmen nicht bundesweit, sondern in den Einzelstaaten stattfindet. Mehrheitswahl ist per se nichts Besonderes. GB wählt das Parlament, Frankreich Präsident und Parlament nach Mehrheitswahlrecht. Bei den Parlamentswahlen nach Mehrheitswahlrecht in GB etwa erhält derjenige Kandidat das Mandat, der im Wahlkreis die relative Mehrheit gewinnt. Bei drei Kandidaten kann jemand mit 35% der Stimmen gewählt sein, die Stimmen der übrigen 65% fallen unter den Tisch. In den USA werden in den Einzelstaaten nach dem Mehrheitswahlrecht die Mitglieder des sog. „Electoral College“ bestimmt, das dann auf nationaler Ebene den Präsidenten wählt. Dies bedeutet, dass der Kandidat mit den meisten Stimmen innerhalb eines Staates alle diesem Staat zustehenden Stimmen gewinnt. Für das Endergebnis der Präsidentschaftswahl ist es deshalb gleichgültig, welchen Stimmenvorsprung der Sieger in einem Einzelstaat erreicht. Er muss nur mehr Stimmen erhalten als sein Gegner. Ob Kamala Harris in Kalifornien knapp vorne liegt, oder zwei Drittel der Stimmen gewinnt, ist für das Endergebnis vollkommen gleichgültig. Sie bekommt die Gesamtzahl der Wahlmänner dieses Staates. Die Wahlen werden deshalb in den wenigen Einzelstaaten entschieden, in denen keine der zwei Parteien eine sichere Mehrheit hat, den sog. „Swing States“. Diese Konstellation hat erhebliche Konsequenzen für die Wahlkampfstrategie und die jeweilige politische Profilierung der Kandidaten.
Folie 5 Swing States
(Die indirekte Wahl hat ihren Ursprung im Misstrauen der sog. Verfassungsväter gegenüber dem Volk, aber auch in der Sklaverei der Südstaaten. In der Verfassungsdiskussion der USA 1787 konnten die Südstaatenvertreter durchsetzen, dass nicht nur die Zahl der weißen Bewohner, sondern auch die der Sklaven innerhalb eines Einzelstaates bei der Berechnung der Anzahl der jeweiligen Wahlmänner berücksichtigt wurden (zu 3/5). Dazu bedurfte es des Wahlmännerkollegiums.)
Eine dritte Besonderheit des amerikanischen Wahlsystems geht zurück auf den föderalen Charakter der USA. Die Zahl der Stimmen im Wahlkollegium entspricht heute der Zahl der Abgeordneten im Kongress, der aus zwei Kammern besteht, dem Repräsentantenhaus und dem Senat. Da nur die Zahl der Abgeordneten des Repräsentantenhauses der Einwohnerzahl entspricht, jeder Staat jedoch unabhängig von der Einwohnerzahl zwei Senatoren nach Washington entsenden kann, begünstigt das Wahlsystem die meist ländlich geprägten, bevölkerungsärmeren Staaten. (An Bundesrat erinnern: Bremen mit 600000 Einwohnern hat drei Stimmen, Hessen mit mehr als 6 Mio hat 5, NR-W, B-W, Bayern je sechs.)
Folie 7 Besonderheiten
- Mehrheitswahl in den Einzelstaaten
- Indirekte Wahl durch ein „Electoral College“ (Wahlmännergremium)
- Die Anzahl der Stimmen der Einzelstaaten entspricht den Stimmen des Staates im Kongreß, nicht der Einwohnerzahl
- Wer wählen will, muss sich zuvor registrieren lassen
Eine vierte Besonderheit ergibt sich aus dem fehlenden Meldewesen in den USA. Wer wählen möchte, muss sich zuvor als Wähler registrieren lassen, ein Prozess, der in den Einzelstaaten sehr unterschiedlich geregelt ist und historisch lange Zeit genutzt wurde, um Afroamerikaner durch ein aufwendiges Verfahren möglichst von der Wahl fern zu halten. Lange Zeit herrschte in den USA eine Art Apartheidregime. Erst durch den Voting Act von 1965 unter Präsident Johnson sollte sichergestellt werden, dass Afroamerikaner überall ihr Wahlrecht ausüben können. Dieser Voting Act wurde allerdings 2013 vom Supreme Court für teilweise verfassungswidrig erklärt, weil er einen Eingriff in die Rechte der Einzelstaaten darstelle (Shelby County versus Holder). So lässt sich heute auch wieder beobachten, dass durch bewusst geschaffenen Aufwand – etwa Wartezeiten bei der Registrierung oder Reduktion der Wahllokale in Wohngebieten von Afro-Amerikanern – Bevölkerungsgruppen von der Wahl abgehalten werden sollen. Wer einen Mindestlohnjob hat, wird sich überlegen, ob er einen halben Tag frei nimmt, um an einem Dienstag stundenlange Wartezeiten in Kauf zu nehmen um seine Stimme abgeben zu können.
Die Besonderheiten des Wahlsystems insgesamt sind nicht unbedingt geeignet, die Legitimität der Wahlen und des Wahlergebnisses zu stärken. Im Gegenteil: Sie bieten vielerlei Anlässe, Wahlergebnisse in Frage zu stellen und Manipulationsvorwürfe zu erheben.
3. Vom Pragmatismus der Mitte zur politischen Polarisierung
Dies gilt umso mehr, als die USA heute geradezu das Paradebeispiel einer extremen politischen Polarisierung sind. Die vor kurzem erschienene Geschichte der Vereinigten Staaten des Heidelberger Professors Manfred Berg trägt den Titel „Das gespaltene Haus“. Berg hält es für möglich, dass die Verlierer der diesjährigen Wahl das Wahlergebnis nicht akzeptieren werden und damit die Gefahr eines Bürgerkrieges besteht . Das bezieht er nicht nur auf Trump, der ja bereits 2020 den sog. „looser´s consent“, also die Akzeptanz der Wahl durch ihren Verlierer, verweigert und eine Art Staatsstreich versucht hat. Berg bezweifelt auch, dass die Demokraten noch einmal, wie im Jahr 2000 nach der Wahl Bush Junior gegen Al Gore eine durch das Verfassungsgericht getroffene Entscheidung zugunsten der Republikaner akzeptieren würden.
Als ich Politikwissenschaft studiert habe, was zugegebenermaßen schon eine Weile her ist, galten die USA als Beispiel einer weitgehend entpolitisierten Demokratie, in der die Parteien um die politische Mitte konkurrierten und programmatisch nahezu austauschbar waren. Die Republikaner wurden bestimmt von wirtschaftsnahen, kulturell eher liberal-konservativen Kräften. Die Demokraten waren ein heterogenes Bündnis zwischen gewerkschaftsnahen Linken, der ländlichen weißen Bevölkerung des Südens und zunehmend auch der Einwanderergruppen. Die Gegensätze innerhalb der Parteien waren in vielen Fragen größer als die zwischen ihnen. Fraktionsdisziplin im Repräsentantenhaus galt eher als Ausnahme, die Präsidenten suchten sich ihre Mehrheiten, und die Abgeordneten vertraten in erster Linie ihre Wahlkreise. Sie waren durchaus bereit, Gesetzesvorhaben der Exekutive zu unterstützen, auch wenn diese von der gegnerischen Partei ausgingen, vorausgesetzt, sie konnten für sich, bzw. ihre Wähler einen Vorteil aushandeln.
Diese Art des Pragmatismus ist mittlerweile Geschichte – das Land scheint in zwei Lager zerfallen, die beiden Parteien stehen sich feindlich gegenüber, und der Druck auf Abgeordnete, im Sinne der jeweiligen Parteiführung abzustimmen, ist enorm. Kurz: die USA gelten heute als eine bis zur Dysfunktionalität polarisierte Demokratie.
Fragt man, warum das so ist, bieten sich zwei unterschiedliche Erklärungen an. Die erste greift auf gesellschaftliche Entwicklungen zurück. Die zweite hebt eher ab auf die aktive Rolle der politischen Eliten, die, begünstigt von den Besonderheiten des politischen Systems, sich von einer extremen Polarisierung und der Erklärung des politischen Gegners zum Feind Vorteile erhoffen können. Wie oft bei solchen Kontroversen, schließen sich die beiden Erklärungen aber nicht gegenseitig aus.
4. Der gesellschaftliche Nährboden der politischen Polarisierung
Die Gesellschaften aller westlichen Industrieländer haben sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch gewandelt. Sechs Dimensionen dieses Wandels sind in unserem Zusammenhang besonders wichtig und bilden den Nährboden der politischen Polarisierung:
Folie 8
- Das Ende der Prosperitätsphase der Nachkriegsjahrzehnte und erneut zunehmende Ungleichverteilungen
- Der Verlust klassischer Industriearbeitsplätze und der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft
- Globalisierung und Bedeutungsverlust der Nationalstaaten und ihrer majoritären Institutionen
- Die kulturelle Revolution seit den 1960er Jahren, die einerseits Emanzipation, Säkularisierung und sexuelle Liberalisierung brachte, es andererseits aber ermöglichte, soziale Konflikte in einen Kulturkampf zu transformieren.
- Wandel der medialen Öffentlichkeit: Kommerzialisierung, Skandalisierung, Emotionalisierung
- Starke Zuwanderung und nachhaltige Veränderung der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung
Diese Entwicklungen sind nicht auf die USA beschränkt, sondern lassen sich in unterschiedlicher Ausprägungen in den USA wie in D, in GB wie in Skandinavien beobachten. Im Vergleich zwischen Deutschland und den USA würde ich jedoch behaupten, dass die Entwicklungen dort stärker ausgeprägt sind, bzw. aus verschiedenen Gründen sehr viel konflikthafter ablaufen als bei uns.
Folie 9 Entwicklung des Einkommensniveaus
Das Ende einer lang anhaltenden Wohlstandssteigerung, die es in den USA auch Arbeitern ermöglichte, ein eigenes Haus im Grünen zu bauen und ein größeres Auto zu fahren – der sog. American Dream - trat sehr abrupt bereits in den 70er Jahren ein. Seitdem hat sich wenig geändert, das mittlere Einkommen schwankt leicht, mal auf- mal abwärts. Ein entscheidender Grund hierfür ist in der nächsten Darstellung zu sehen: die Produktivität der US-Wirtschaft steigt, die Reallöhne tun es sehr viel weniger.
Folie Arbeitsproduktivität und Reallöhne
Das hat mit den Machtverhältnissen zwischen Kapital und Arbeit zu tun, wenn man genauer hinschaut, aber auch mit einem dramatischen Strukturwandel der US-Wirtschaft – und den vor allem anderen hat Trump ins Visier genommen.
Bereits in den 80er Jahren setzte in den USA ein Abbau industrieller Arbeitsplätze in der Stahl-, Kohle- und Automobilindustrie ein, der sehr viel weniger sozial abgefedert ist, als vergleichbare Prozesse bei uns im Ruhrgebiet oder dem Saarland. Besonders betroffen davon ist der sog. Rust-Belt, der früher mal Manufacturing Belt, also Produktionsgürtel hieß. Das ist die Gegend um die Großen Seen mit Städten wie Chicago und Detroit, Cleveland und Pittsburgh. Detroit ist schon seit Jahrzehnten eine verelendete, mittlerweile zu mehr als 80% von Afro-Amerikanern bewohnte Stadt, in der ganze Straßenzüge abgebrannt sind. In Cleveland, Ohio lebten 2019 30% der Einwohner unter der Armutsgrenze (landesweit 10,5%; vgl. Püschel 2021).
Folie 11 Städte
Wh Folie Swing States
In dieser Gegend liegen übrigens auch die drei, oder vier der sog. Swing States. Der Niedergang der Schlüsselindustrien in den USA wurde zwar begleitet vom Aufstieg neuer Branchen – allen voran dem international dominierenden Bankensektor an der Ostküste oder dem sprichwörtlichen Silikon Valley in Kalifornien. Die dort entstandenen gut bezahlten Arbeitsplätze sind aber nicht nur tausende Kilometer von den klassischen Industrierevieren entfernt, sondern auch sonst außerhalb der Reichweite von Arbeitern ohne akademische Bildung. Der Mehrzahl der Menschen, die in den USA ihren gut bezahlten industriellen Arbeitsplatz verlieren, bleibt nichts anderes übrig, als einen schlechter bezahlten Arbeitsplatz im Dienstleistungsbereich anzunehmen.
Diese Entwicklung ist mittlerweile nicht mehr nur auf die sog. alten Industrien beschränkt. In den USA sind zunehmend auch Beschäftigungsverhältnisse der traditionellen Mittelklasse, etwa Sachbearbeiter in der Verwaltung, durch Digitalisierung von dieser Entwicklung betroffen (Püschel 2021). Im Ergebnis kommt es auf dem US-Arbeitsmarkt zu einer sog. Job-Polarisierung: eine hohe Nachfrage nach gering und nach hoch qualifizierten Arbeitskräften, während Erwerbstätige mit mittlerem Qualifikationsniveau immer weniger gefragt sind (Püschel 2021).
Arbeitslosigkeit ist dabei nicht so sehr das Problem.
Folie 13 Arbeitslosigkeit
Aber Arbeitslosengeld gibt es in den USA nur für 26 Wochen, danach ist man gezwungen einen job anzunehmen, auch wenn er weitaus schlechter bezahlt ist als der alte.
Das erklärt ein Stück weit, warum in den USA trotz beachtlicher Wachstumsraten und niederer Arbeitslosigkeit eine hohe Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Entwicklung weit verbreitet ist.
Nationalstaat – „America First“ (die 3. Dimension)
Ganz anders als in Deutschland als langjähriger Exportweltmeister führen viele US-Amerikaner diese Entwicklung auf den Abbau von Zollschranken, die Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland und den zunehmenden Import von Industrieprodukten zurück. Das ist nicht unbegründet. Allein der Handel mit China hat Schätzungen zufolge zu einem Verlust von nahezu 2,7 Millionen Jobs in den USA geführt. 2,1 Millionen dieser Jobs gingen zu Lasten von US-Beschäftigten in der Industrie (Püschel 2021). Das mag in absoluten Zahlen nicht so viel sein, aber es betrifft gerade die alten Industrieregionen ganz besonders. Um den Unterschied zu Deutschland noch einmal zu verdeutlichen: Während bei uns Globalisierung als Sicherung für gut bezahlte Industriearbeitsplätze in der Automobilindustrie, im Maschinenbau und in der Chemie gilt, wird der enorme Anstieg des Welthandels während der letzten Jahrzehnte in den USA als Verlagerung attraktiver Arbeitsplätze wahrgenommen. Das ist natürlich nur teilweise richtig, weil in den USA im Banken- und IT-Bereich ebenfalls Arbeitsplätze entstanden, die zudem noch sehr hoch bezahlt werden - aber das sind Arbeitsplätze für die akademisch gebildeten Spitzenverdiener, die zumeist in den demokratisch regierten Küstenregionen und ihren florierenden Großstädten wie New York, Boston, San Francisco etc. leben. Vor diesem Hintergrund ist in den USA – anders als hier - die Vorstellung weit verbreitet, dass eine konsequent nationale Interessen verfolgende Wirtschaftspolitik die industrielle Basis des Landes wieder stärken könnte und durchaus im Allgemeininteresse läge. Arbeitsplatzverluste, stagnierende Löhne, Abstiegs- und Entwertungserfahrungen werden in den USA viel mehr als hier auf die liberale internationale Wirtschaftsordnung zurückgeführt – mit ihren Organisationen wie GATT, WTO etc., die nur Ländern wie Japan, Deutschland und mittlerweile vor allem eben China genutzt hätten, und auf die sich jetzt die Wut richten lässt.
Wie sehr allein schon der drohende der Verlust gut bezahlter industrieller Arbeitsplätze Angst und Wut anheizen kann, ließ sich ja aber auch in D während der letzten Wochen am Beispiel VW beobachten. Die bloße Möglichkeit von Entlassungen und Betriebsstilllegungen haben zu einer Kampagne gegen „Öko-Irrsinn“ und für die Rückkehr zum Verbrennermotor geführt. Bild-Zeitung, Söder und gelegentlich auch Merz haben dabei als Hauptfeind „unseres wirtschaftlichen Wohlstands“ und des bisherigen Lebensstils die „Grünen“ ausgemacht.
Kulturkampf statt sozialer Konflikte
Diese Züge eines Kulturkampfes tragende Kampagne, die wir seit ein, zwei Jahren in D beobachten können, ist eigentlich eine gute Überleitung, um zum 4. und politisch entscheidenden Punkt in meiner Liste zu kommen. In den USA ist der Versuch, die sozialen Gegensätze, die in der Transformation der Industriegesellschaft aufbrechen, in kulturelle Konflikte zu transformieren, bereits mehrere Jahrzehnte alt. Das war im Grunde schon das Erfolgsrezept von Ronald Reagan, der seine Karriere in Kalifornien mit dem Kampf gegen die revoltierenden Studenten begann und später mit einer auf Nationalismus und amerikanische Werte setzenden Kampagne unter den weißen Industriearbeitern wichtige Stammwähler der Demokraten für sich gewinnen konnte. (Das gelang in den USA besser als die ungefähr zur gleichen Zeit versuchte „geistig-moralische Wende“ Kohls, sicher auch, weil ein konservatives Christentum und nationale Identität dort stärker verbreitet und der Gegensatz zur hedonistischen Kultur der neuen akademischen Mittelschicht der Großstädte seit den 70ern auch stärker ausgeprägt ist als hier.)
Radikalisiert und in der republikanischen Partei zu einer verbindlichen Linie durchgesetzt wurde diese Politik von Newt Gingrich mit seiner „Revolution of 94“. Gingrich präsentierte als Sprecher des Repräsentantenhauses einen „Contract with America“ der die republikanischen Abgeordneten zum ersten Mal auf ein Programm zu Steuersenkungen und zur Stärkung der Einzelstaaten gegenüber Washington verpflichtete. Jeder Abgeordnete mußte in einem groß inszenierten Ritual die Einzelpunkte dieses Contracts unterschreiben, verbunden mit der Drohung, ihm bei abweichendem Abstimmungsverhalten jede Unterstützung zu entziehen. Eine derartige Unterwerfung der dezentral im Wahlkreis gewählten und deshalb traditionell sehr unabhängigen Abgeordneten unter ein klares Programm hatte es zuvor nie gegeben. Inhaltlich spielten neben Steuerkürzungen, der Abbau des Sozialstaates und der Rückbau bundesstaatlicher Regulierungen eine Hauptrolle.
Zudem gelang es auch schon in den 90ern, durch die polemische Kritik an der liberalen Abtreibungsregelung die fundamentalen Christen für die Republikaner zu gewinnen. Wichtiger noch: Gingrich führte in die normale politische Auseinandersetzung zwischen neoliberalen Konservativen und Liberalen ein extremes Freund-Feind-Denken, persönliche Verunglimpfungen und die Art von Nationalismus ein, die den politischen Gegner zum unamerikanischen Feind macht.
Folie 15 Newt´s list
Er hat u.a. eine Liste mit Dutzenden negativer Begriffe wie korrupt, verrückt angelegt und vonden republikanischen Abgeordneten verlangt, diese Begriffe immer wieder in Zusammenhang mit dem politischen Gegner zu verwenden. Insofern hat er Trump den Weg geebnet.
Ein weiterer Faktor der Radikalisierung der republikanischen Partei kann zudem ironischerweise in der Demokratisierung der amerikanischen Politik seit den 70er gesehen werden. Von Ausnahmen abgesehen werden die Präsidentschaftskandidaten der Parteien erst seit 1972 durch Abstimmungen der Basis in den Einzelstaaten bestimmt. In Primaries durch geheime Abstimmungen oder durch Versammlungen auf Bezirksebene, einem sog. Caucus, entscheiden diejenigen, die sich als Wähler einer Partei registrieren lassen über ihren Kandidaten. Es geht da also direkt-demokratisch zu. Aber wie immer wieder zu beobachten, begünstigt direkte Demokratie stark mobilisierte Minderheiten, und das bedeutet meist, die radikalen gegenüber den gemäßigten Kräften. Die Tea Party, an die sich einige sicher erinnern, wäre ein Beispiel für so eine zeitweise sehr einflussreiche radikale Basisbewegung, die systematisch genutzt wurde, um gemäßigte Republikaner zu verdrängen.
Parallel zur kulturellen Mobilisierung der weißen Unter- und Mittelschicht durch die Republikaner konzentrierte sich die politische Linke zunehmend auf den Kampf um die Gleichstellung von Frauen sowie ethnischer und sexueller Minderheiten. Eine prominente Rolle spielt dabei die Politik der sog. Political Correctness, die vor allem an Universitäten und im liberalen akademischen Milieu der Küstenstädte Unterstützung findet. Das Ziel sozialer Gleichheit trat in den Hintergrund gegenüber einem sich progressiv gebenden Moralismus, dessen Kehrseite nicht selten die Verachtung des politischen Gegners ist (exemplarisch: Clinton´s Bezeichnung der Trump-Wähler als „Deplorables“ – Erbärmliche oder Jämmerliche). In der Konsequenz verstärkt sich auch von dieser Seite die kulturelle Spaltung der amerikanischen Gesellschaft, so dass politische Konflikte zunehmend zu einer Frage der Moral und der Identität geworden sind.
Trump hat sich darauf bezogen schon 2016 mit seinem offenen Männlichkeitskult, seinem Chauvinismus und einem nicht ganz so offenen, aber für jeden Amerikaner erkennbaren Bekenntnis zum weißen, christlichen Amerika als Widerstandsheld gegen diese, das „eigentliche Amerika“ zersetzende Liberalisierung der Gesellschaft stilisiert.
Ich müßte jetzt noch auf die Punkte Medien und Zuwanderung eingehen, werde das aber nur ganz kurz machen. Fernsehen in den USA wird von Privatsendern bestimmt. Die größten vertreten eine politische Richtung, Fox ist ein rechter Sender, der Trump unterstützt , CNN ist klar für die Demokraten, im Ergebnis kann sich jeder sein Weltbild abendlich bestätigen lassen. Zwischen 1949 und der Mitte der 80er Jahre galt für Radio und Fernsehsender in den USA die sog. Fairness-Doktrin, die eine politisch ausgewogene Berichterstattung verlangte. Die wurde im Zuge der Liberalisierungspolitik Reagans als Widerspruch zur Meinungsfreiheit gesehen und aufgegeben. Damit wurden Einseitigkeit und Empörung zu einem Geschäftsmodell. (Lange vor Trump gab es in den USA das Phänomen des sog. Hate Radios, Radiosender in denen rund um die Uhr politisch agitiert und gehetzt wird. Der bekannteste Name in dem Zusammenhang war Rush Limbaugh, der seit 1988 ein breites Publikum erreicht hat. Mit den sozialen Medien hat das Radio sicher an Bedeutung verloren, das Phänomen insgesamt sich aber sicher nicht zum Besseren verändert – die Hetze ist eher demokratisiert und verbreitert worden.)
Einwanderung, mein letzter Punkt beschäftigt die amerikanische Gesellschaft seit Jahrzehnten ganz ähnlich wie hier bei uns. Und das, obwohl die USA eine Einwanderergesellschaft sind, und, von den sog. Native Americans abgesehen, ja alle Amerikaner einen kürzere oder längere Zeit zurückreichenden Migrationshintergrund haben. Aber es geht natürlich nicht um Zuwanderung als solche, sondern darum, welche Gruppen kommen. Beeindruckend ist zunächst der Umfang der Einwanderung. Noch um 1900 hatten die USA 76 Mio Einwohner, 1967 waren es 200 Mio und 2006 wurde die 300 Mio Grenze überschritten. Während im 19. Und 20. Jahrhundert noch überwiegend europäische Einwanderer in die USA kamen, hat sich das mit erheblichen Folgen für die ethnische Zusammensetzung dramatisch geändert. Um 1900 waren noch 88% der Bevölkerung weiss, gerade eine halbe Million waren sog. Latinos. 1965 wurde die rassische Quotierung der Einwanderung aufgegeben und in der Folge nahm die Einwanderung aus LA stark zu. Heute ist die Hälfte des Bevölkerungszuwachses der USA auf die Zunahme des spanischsprachigen Bevölkerungsanteils zurückzuführen (Quelle https://de.wikipedia.org/wiki/Demografie_der_Vereinigten_Staaten). Noch bei der Wahl 1996, als es Bill Clinton noch einmal ins Weiße Haus schaffte, waren 85 Prozent der Wähler weiß, heute sind es noch ungefähr zwei Drittel ( SWP 24.10., S. 3). In einer Gesellschaft, die wie keine andere westliche Gesellschaft von „Rasse“ besessen ist, muss das zu Verwerfungen und Konflikten führen. In Kombination mit dem sozial-ökonomischen Statusverlust, den viele weiße Amerikaner während der letzten Jahrzehnte zu beklagen haben, bildet die Angst, demnächst in einer Minderheitsposition zu sein, den idealen Nährboden für rechtsextreme Bewegungen, die „ihr Land“, das „weiße Amerika“ gegen die Bedrohungen durch „Fremde“ verteidigen wollen.
Folie 17 Demographie der USA
Vor allem die illegale Zuwanderung über die Grenze zu Mexiko war schon 2016 das große Thema im Wahlkampf Trumps. Sie ist es jetzt wieder, worauf ich gleich noch zu sprechen komme. Dass es sich nicht nur um ein Medienphänomen handelt, zeigt das folgende Schaubild. Die USA haben pro Jahr ungefähr 1,2 Mio legale Einwanderer, die vor allem über die sog. Green Card, eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung ins Land kommen. Das ist mittlerweile aber nur ein kleiner Teil der effektiven Einwanderung.
Folie 18 Illegale Einwanderung
5. Zum Wahlkampf
Nach Bidens Ankündigung am 21. Juli, nicht mehr zur Wahl anzutreten, konnte sich Kamala Harris sehr schnell und unangefochten als Kandidatin der demokratischen Partei durchsetzen. Sie löste zunächst auch unter den Anhängern der Demokraten große Begeisterung aus. Es war wie eine Art Erlösung, den zunehmend gebrechlichen Biden losgeworden zu sein und mit einer vergleichsweise jungen Frau in den Wahlkampf gegen Trump ziehen zu können. Harris hat das geschickt aufgegriffen und den Begriff „Joy“ ins emotionale Zentrum ihrer Kampagne gestellt. Mit ihrer „Politics of Joy“ und der Parole „Joy over Hate“ trifft sie tatsächlich eine sehr amerikanische Haltung: Optimismus, dieses „be positive“, und hab Spaß, an dem was Du machst.
Harris hat damit frischen Wind in die Kampagne der Demokraten gebracht und sie kann sicher Unterstützer mobilisieren, die keine große Lust mehr gehabt hätten, sich für noch einen Wahlkampf zwischen den beiden alten Männern Trump und Biden zu engagieren. Das gilt insbesondere für jüngere Menschen, Frauen und Minderheiten in den USA. Und man sollte nicht unterschätzen, welche Bedeutung es für amerikanische Wahlkämpfe hat, eine große Anzahl von Unterstützern zu mobilisieren. Die Parteiorganisationen sind im Vergleich zu D viel schwächer, sie sind bei Wahlkämpfen auf freiwillige Helfer angewiesen. Ein Beispiel aus meinem Bekanntenkreis: Aus meiner Zeit in den USA kenne ich einen mittlerweile weit über 8o Jahre alten Germanisten. Dessen Ehefrau hat im August mit vier Freundinnen begonnen, von Hand mehrere Hundert Briefe an Frauen zu schreiben, die sich früher mal als demokratische Wähler registrieren ließen, um an den Primaries teilnehmen zu können, es bei der Wahl 2020 aber nicht mehr gemacht hatten. Sie haben also tagelange Arbeit auf sich genommen, um Wählerstimmen für Harris zu gewinnen.
Ein Wahlkampf, der nur auf Frauen und Minderheiten setzt, wäre jedoch aussichtslos. Und auch der Versuch, Harris als neue Ikone des liberalen, besser gebildeten und besser gestellten Amerika zu präsentieren, halte ich für eine sehr riskante Strategie für sie.
Folie 19 Harris auf der Vogue
Mit dem Image, das auf diesem Titelblatt der Vogue produziert wird, könnte sie sich eher schaden. Harris muss nennenswerte Teile der unteren Mittelschicht für sich gewinnen, sonst hat sie keine Chance, in den Swing States Trump zu schlagen. Insofern war ihre Entscheidung für Tim Walz, den Gouverneur von Minnesota, als Vizepräsidentschaftskandidat eine gut überlegte strategische Wahl. Walz ist ein typischer Vertreter des nordeuropäisch und deutsch geprägten mittleren Westens, Sohn eines Lehrers, auf dem Land aufgewachsen. Er hat freiwillig in der Nationalgarde gedient und wurde für Einsätze bei Naturkatastropen mehrfach ausgezeichnet. Sein Lehrerstudium hat er an einem kleinen State College in Nebraska absolviert – kurz: er ist eine Art Gegenfigur zu den verhassten, global orientierten Jura- oder Ökonomie- Absolventen der Elite-Universitäten an der Ostküste oder in Kalifornien.
Harris muss darauf achten, nicht nur mit Diversität und einer liberalen Abtreibungspolitik identifiziert zu werden. Die Wähler nennen, was in den USA meist der Fall ist, als für sie wichtigstes Thema die Ökonomie.
Folie 20 Themen CNN
Für Harris ist das an zweiter Stelle genannte Migrationsthema, für das sie in der Biden-Administration zuständig war, desaströs. Es wird deshalb von Trump und Vance auch immer wieder aufgegriffen und ins Zentrum gestellt.
Ökonomisch stehen die USA nach vier Jahren Biden auf den ersten Blick nicht schlecht da.
Folie 21 Wachstum
Das hohe Wachstum wurde aber erkauft durch eine die Inflation treibende Staatsverschuldung, die vor allem im Bereich der Lebensmittel besonders hoch ist und wiederum vor allem die unteren Einkommensgruppen betrifft.
Folie 22 Inflation
Folie 23 Top Issues (Inflation….ohne Abtreibung)
Folie 24 Die Kompetenz CNN
Folie 25 Kompetenzen insgesamt in Pennsylvania
Harris steht hier mit dem Rücken zur Wand. Programmatisch zielt sie mit ihren Vorschlägen zur Steuer- und Wirtschaftspolitik auch auf die Mittelschicht. Sie will die Freibeträge für untere Einkommen und für Kinder erhöhen und Steuerreduktionen für „first time home buyers“ einführen. Das zielt recht eindeutig auf die Wiederbelebung des sog. American Dream, der v.a. darin besteht, ein eigenes, möglichst freistehendes Haus zu besitzen, mit Garage,, dem und der typischen Auffahrt davor. Angeblich sollen 70% der Haushalte mit einem Einkommen unter 113000$ pro Jahr von ihrem Programm profitieren.
Trump spricht diese Gesellschaftsschicht ohnehin an. Er und sein Vize-Kandidat Vance haben sich aber nach meinem Eindruck bei dieser Wahl stärker als je zuvor zu den Fürsprechern der „hart arbeitenden Amerikaner“ gemacht. Trump tut das auf typisch populistische Art, er brüstet sich mit seinem Erfolg als Geschäftsmann und mehr noch mit seiner „Stärke“, mit der er es China und anderen Konkurrenten schon zeigen werde. Zentral aber ist für ihn das Migrationsthema. Illegale Einwanderer sind quasi an allem schuld – Trump behauptet einfach, in der ganzen Welt würden sie die Gefängnisse leeren und ihre Kriminellen nach Amerika schicken.
Ob die Leute das ernsthaft glauben, ist m.E. gar nicht so wichtig. Es greift ihre Frustration und Wut auf, bestätigt, verstärkt sie, und nennt Schuldige – und darauf kommt es ihm an.
Ökonomisch verspricht er Steuererleichterungen, vor allem für Unternehmen und Superreiche, um so Arbeitsplätze zu schaffen. Die Körperschaftssteuer soll von 21 auf 15% gesenkt werden. Das so entstehende staatliche Defizit will er durch hohe Schutzzölle ausgleichen.
Vance ergänzt Trump mit einer etwas rationaleren Argumentationsweise, aber auch er gibt sich quasi als Arbeiterführer. Er betont seine Herkunft aus der Unterschicht, argumentiert, die hohe Anzahl illegaler Einwanderer würde das Lohnniveau einfacher Arbeiter drücken, bzw. den Mindestlohn unterlaufen – was nicht von der Hand zu weisen ist.
Zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte Amerikas ruft eine Gewerkschaft, die Teamster, die Transportarbeitergewerkschaft, dieses Jahr zur Wahl Trumps auf. Und Trump ist auch immer wieder für effektvolle Ankündigungen gut. So hat er angekündigt, Tips, also Trinkgelder, zukünftig steuerfrei zu stellen. Für Millionen Geringverdiener in Gastronomie und Dienstleistungsberufen wäre das eine erhebliche Verbesserung.
Trump hat zudem den Vorteil, dass einige Milliardäre (etwa Peter Thiel, die Koch-Brüder), allen voran Elon Musk, sich für ihn ins Zeug legen. Wahlkampf in den USA ist auch Materialschlacht, sind Werbekampagnen vor allem im Fernsehen. Trump ist dabei durch seine Milliardärsfreunde bestens finanziert.
Zudem dürfte Trump zugutekommen, dass die Unterstützung einer Ikone der technischen Innovation und des wirtschaftlichen Erfolgs, wie Elon Musk, seinen Ruf als ökonomisch kompetenter Macher weiter stützt.
Seit kurzem läuft in Pennsylvania zudem eine von Musk veranstaltete Lotterie, mit der er unter Wählern, die sich registrieren lassen und zugleich eine Petition für Meinungsfreiheit und Waffenrechte unterschreiben, täglich eine Mio Dollar verlost. In einem Staat, in dem wenige tausend Stimmen entscheiden, könnte diese Aktion durchaus den Ausschlag geben.
Insgesamt sollte man sich nicht täuschen lassen: Trumps Verletzung elementarer zivilisatorischer Normen schreckt seine potentiellen Wähler offensichtlich nicht ab, so lange sie an seine Hauptbotschaft glauben: Ein starker Präsident, der sich durchzusetzen weiß, kann Amerika auch wirtschaftlich wieder stark machen und, das ist der Subtext, der weißen Mittelschicht wieder den ihr zustehenden Platz innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie verschaffen.
Deshalb scheint mir die Hoffnung, dass Trump sich durch seine ordinären Ausfälle, seine offensichtlichen Lügen oder seine Rechtsverletzungen desavouieren könnte, verfehlt. Im Gegenteil: die Verletzung grundlegender Normen, die rücksichtslose Durchsetzung der eigenen Interessen, das Versprechen, dem Recht des Stärkeren wieder Geltung zu verschaffen – das ist genau das, was seine Anhänger von ihm erwarten. In einer Rede im März 2023 vor der Conservative Political Action Conference (CPAC) sagte Trump: „I am your Warrior, I am your justice … I am your retribution“ – Ich bin Euer Krieger, ich bin Eure Gerechtigkeit, ich bin Eure Vergeltung (CPAC 2023, Quelle: https://www.c-span.org/video/?c5060238/pres-trump-i-justicei-retribution).
Die negativen Emotionen und die fast messianischen Erwartungen, die da aufgegriffen und verstärkt werden, lassen sich mit der Erinnerung an Rechtsnormen und dem Appell an grundlegende zivile Standards kaum in Zaum halten. Die Frage lautet, ob Kamala Harris und Tim Walz in der Lage sein werden, in ausreichendem Maß und bei den Leuten, auf die es ankommt, eine stärkere Hoffnung auf konkrete Verbesserung ihrer Lebensumstände und auf ein besseres und gerechteres Amerika zu mobilisieren.
Quellen:
Powerpoint – Folien
Hochschild, Arlie: Strangers in Their Own Land, New York 2016.
Komlot, John/Schubert, Herrmann: Die Entwicklung sozialer Ungleichheit und ihre politischen Implikationen in den USA, in: Wirtschaftsdienst 3/2019.
Lepore, Jill: Diese Wahrheiten. Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, München 2019.
Newt´s list: https://themoderatevoice.com/newt-gingrich-and-his-list-of-words/
Püschel , Julia: Deindustrialisierung und High-Tech in den USA, in: bpb, https://www.bpb.de/themen/nordamerika/usa/340178/deindustrialisierung-und-high-tech-in-den-usa/
3. Fragen und Diskussionsbeiträge der Teilnehmer (Wolfgang Hesse)
Teilnehmer (T): Wäre es möglich, dass es in den USA mehr als 2 Parteien gibt?
Winfried Thaa (WTh): Die Zahl der möglichen Parteien ist in der amerikanischen Verfassung nicht geregelt. Versuche, neue Parteien zu gründen, gab es immer wieder. So gibt es z.B. eine grüne Partei, die sich auch schon an Präsidentschaftswahlen beteiligt hat, dabei aber chancenlos ist.
T: Die dem aktuellen Wahlkampf zugrundliegenden gesellschaftlichen Entwicklungen und die Besonderheiten des amerikanischen Wahlsystems wurden umfassend dargestellt. Die zunehmende Polarisierung findet ihren Niederschlag im 2-Parteiensystem. Gibt es Aussichten auf eine Veränderung des heutigen Wahlsystems?
T: Wie kann man einen Mann ernst nehmen, der lügt, der in mehreren Gerichtsverfahren verurteilt wurde und der nach verlorener Wahl einen Aufstand gegen den Wahlsieger angezettelt hat? Wie kann ein großer Teil der US-Bürger einen solchen Präsidenten haben wollen? Spielt das unterschiedliche Bildungsniveau der Menschen hier eine Rolle?
T: Wie konnte es passieren, dass die Demokratische Partei über viele Jahre die sozialen Aspekte in ihrer Politik so stark vernachlässigt hat?
T: Konnte die gewaltige Wirtschaftsförderung der Regierung Biden die wirtschaftliche Lage und damit die Zufriedenheit der Menschen nicht verbessern?
WTh: Dass Trump nicht abstoßend auf seine Wähler wirkt ist auf den ersten Blick erstaunlich. Aber dahinter steht der Wunsch vieler Amerikaner nach einem starken Mann, der sich über Regeln hinwegsetzt und im Land „aufräumt“. Und dies, obwohl die amerikanische Gesellschaft ansonsten sehr auf das Einhalten von Regeln bedacht ist.
Das Mehrheitswahlrecht wird in den USA und in Großbritannien immer wieder diskutiert. Aber solange sich einflussreiche Politiker von diesem Wahlrecht Vorteile versprechen, wird nichts verändert werden. Am ehesten wird noch das Wahlmännersystem in Frage gestellt.
Identitätspolitik findet sich auch bei uns in Deutschland und in Europa. Bei uns wählt ein großer Teil der Arbeiter die AFD und in Österreich ist die FPÖ mittlerweile eine „Arbeiterpartei“. Dahinterstehen – neben ökonomischen Faktoren – tiefgreifende Differenzen der kulturellen Werte von gebildeten Gutverdienern und Arbeiten.
Die oft gelobte gute Wirtschaftspolitik der Regierung Biden konnte die Vernichtung von Mittelschicht-Arbeitsplätzen nicht aufhalten. Es entstanden auf der einen Seite viele schlecht bezahlte prekäre Jobs und auf der anderen Seite einige sehr gut bezahlte Arbeitsplätze für Hochgebildete.
T: Wie sind die Aussagen von Trump zu bewerten, er werde den Ukraine-Krieg schnell beenden? Wird dies von den unteren Schichten befürwortet, weil die gegenwärtige US-Unterstützung der Ukraine das Land sehr viel Geld kostet?
T: Haben die Parteien eigentlich ausformulierte Wahlprogramme?
T: Biden und Harris haben kompetente Berater, während Trump sich mit extremen Ja-Sagern umgeben hat. Wie wirkt sich das aus?
WTh: Das spielt schon eine Rolle, denn Harris Vorschläge wurden von einer Reihe von Experten geprüft, während Trump wenig von Experten hält und deren Kompetenzen eher runtermacht.
Wahlprogramme spielen im US-Wahlkampf eine eher untergeordnete Rolle, aber es gibt schon programmatische Aussagen, gerade zur Wirtschaftspolitik, aber auch z. B. zur Abtreibung. Um eine klare Haltung zu dieser Frage drückt sich Trump herum, indem er sie die Einzelstaaten entscheiden lassen will.
Die internationale Politik spielt unter dem Aspekt der Wirtschaftspolitik im Wahlkampf eine wichtige Rolle. Trump steht in der Tradition einer isolationistischen Politik. Außerdem brüstet er sich damit, dass in seiner Amtszeit die USA in keinen Krieg verwickelt waren. Die Unterstützung für die Ukraine wird Trump streichen.
Trump greift die ökologische Transformation an. Er möchte zurück ins fossile Zeitalter und neue Umweltauflagen verhindern oder bestehende abschaffen. Eine seiner Parolen lautet „drill, drill, drill“ – er setzt also auf die Ausbeutung neuer Ölquellen und die damit verbundenen Hoffnungen auf wirtschaftlichen Wohlstand.
T: Bei der Analyse des amerikanischen Wahlkampfes 2024 muss auch die Rolle von Elon Musk beachtet werden. Dieser unterstützt den Wahlkampf von Trump mit Hunderten Millionen Dollar. Musk hat sich ein Imperium wirtschaftlicher Macht aufgebaut. Das Weltraumunternehmen Space X, der Internetanbieter Starlink, die Plattform X, der Autohersteller Tesla oder seine neue KI namens Gork verleihen Musk eine Macht, mit der er demokratische Prozesse bedrohen kann. Dies umso mehr, als er Mitglied der neuen Regierung Trump werden soll und damit die Chance hat, auf die ihn betreffende Gesetzgebung Einfluss zu nehmen. Also Augen auf beim Autokauf: Kaufen Sie keinen Tesla!
T: Europa wird sich in Zukunft stärker selbst verteidigen müssen, da Moskau versucht, seinen Einflussbereich immer weiter auszudehnen, wie aktuell in Georgien zu sehen ist.
T: Trump hat immer mit Russland reden wollen, was in den USA eher positiv gesehen wird. Ähnliche Entwicklungen sind auch bei uns zu beobachten.
WTh: Wir sehen bei uns viele Parallelen zu den Entwicklungen in der amerikanischen Politik. So entdeckt auch hier z. B. die politische Rechte ihre Liebe zu Putin. Hoffen wir auf K. Harris, Trump wäre für uns eine Katastrophe.
4. Abschluss und Dank (Karl Schneiderhan)
Karl Schneiderhan dankt Winfried Thaa für den umfassenden und vertieften Einblick in die gesellschaftspolitische Wirklichkeit und das aktuelle Wahlkampfgeschehen in den USA sowie bei den Teilnehmenden für ihre weiterführenden und engagierten Beiträge.
Wegen der Weihnachtsferien findet der Gesprächskreis im Dezember bereits am Montag, 16.12.2024 statt.
Wolfgang Hesse informiert über das Thema des Gesprächskreises am 25.11.2024, in dem es um Zerfallserscheinungen der Demokratie geht. Grundlage ist das Buch von Craig Calhoun, Dilip Parameshwar Gaonkar und Charles Taylor, Zerfallserscheinungen der Demokratie.
Zudem ergab eine Abfrage, dass es bei einzelnen Teilnehmern Probleme bei der Zustellung des Flyers gab.
Kommentare?!?
Schick uns Deinen Text