Förderverein Stadtbibliothek Rottenburg

27.01.2025: Drei Jahre Ukraine-Krieg - und kein Ende?

1. Begrüßung und Einführung (Winfried Thaa)

Vor fast drei Jahren hat die russische Armee aus Osten, Norden und Süden die Ukraine angegriffen. Seither vergeht kein Tag ohne heftige Kämpfe an den Fronten und ohne Raketen- und Drohnenangriffe auf ukrainische Städte. Die menschliche Bilanz dieses Krieges ist grauenhaft: Nach Schätzungen britischer Experten sind bis Ende November 78.000 russische und mehr als 43.000 ukrainische Soldaten getötet worden. Verletzt wurden mehrere hunderttausend Soldaten. Hinzu kommen ungefähr 12.000 getötete, vorwiegend ukrainische Zivilisten (Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/wie-viele-tote-und-verwundete-gibt-es-im-ukraine-krieg-100.html, 11.12. 2024).

Einen besonderen aktuellen Anlass, um über diesen Krieg zu sprechen, braucht es also nicht. Dieser ist zurzeit jedoch gleich mehrfach gegeben: Zum einen durch die Ungewissheit darüber, welche Politik die neue US-Administration unter Donald Trump gegenüber Putins Russland verfolgen wird. Zum zweiten auch durch den zu diesem Zeitpunkt nicht erwarteten deutschen Wahlkampf, in dem mehrere Parteien die weitere Unterstützung der Ukraine durch deutsche Militärlieferungen beenden wollen.

Wolfgang Hesse wird heute ein im letzten Jahr erschienenes, von Götz Neuneck herausgegebenes Buch zum Thema vorstellen, das den Titel trägt „Europa und der Ukraine Krieg“. Die Texte des Buches gehen auf eine Studiengruppe der „Vereinigung deutscher Wissenschaftler“ zurück. Dieser Name mag nahelegen, dass es sich hier um eine allgemeine Wissenschaftlervereinigung im Sinne eines Verbandes gehe. Dies trifft jedoch nicht zu. Die „Vereinigung deutscher Wissenschaftler“ wurde 1959 von prominenten Naturwissenschaftlern, darunter Max Born, Otto Hahn und Carl Friedrich von Weizsäcker, gegründet, die sich gegen die damals heftig diskutierte atomare Bewaffnung der Bundeswehr wandten (Quelle: Wikipedia). Sie hat sich später an der Mobilisierung gegen die Notstandsgesetze beteiligt und blieb auch in der Folge im weiteren Sinn friedenspolitisch engagiert. Ihr jetziger Vorsitzender, der Herausgeber des Buches, Götz Neuneck, war mehrere Jahre lang Mitarbeiter von Egon Bahr, dem Architekten der deutschen Ost- und Entspannungspolitik.

Diese Informationen schicke ich vorneweg, nicht um die Beiträge des Bandes zu diskreditieren, sondern um deutlich zu machen, dass sie, bei allen Unterschieden, die es zwischen den Autoren gibt, doch politisch eher einer Position zuzuordnen sind, die auf einen Ausgleich mit Russland setzt und der Nato und westlichen Militärstrategien eher skeptisch gegenübersteht. 

Ich bin sicher, manche Sicht der Autoren auf diesen Krieg wird hier auf Widerspruch stoßen. Ich selbst bin jedenfalls mit einigen der Thesen des Buches nicht einverstanden. Wir waren uns in der Vorbereitungsgruppe aber einig, dass sie es wert sind, ernsthaft diskutiert zu werden. Und unumstritten ist sicher, dass es nach drei Jahren Blutvergießen höchste Zeit wird, zu überlegen, wie dieser Krieg beendet und welche dauerhaften Lösungen für den zugrundeliegenden Konflikt gefunden werden könnten.

 

2. Impuls (Wolfgang Hesse)

 Zur Präsentation 

 

3. Austausch und Diskussionsbeiträge (Protokoll Karl Schneiderhan)

  • Putin fühlt sich, so ein Teilnehmer, zum einen bedroht aufgrund der Ausweitung der Nato nach Osten, zum anderen durch die stärker gewordenen Demokratiebestrebungen, so in der Ukraine, in Belarus und Georgien, wobei die russisch-sprachige Bevölkerung in diesen Ländern eher skeptisch blieb. Ein Großteil dieser Länder sah aber in der Nato-Mitgliedschaft die einzige Chance für längerfristige Sicherheit. Mehrfach wird deshalb auf den Wunsch der Ukraine und weiterer Staaten verwiesen, Mitglied der EU und der NATO zu sein bzw. zu werden.
  • Es wird daran erinnert, dass die Ukraine in den 90er Jahren ihre Atomwaffen abgegeben hat. Im Prinzip müsse es eine pragmatische Lösung geben. Unklar sei aber, wie diese aussehen bzw. abgesichert werden könnte.
  • Positiv bewertet wird die sachliche Darstellung der Lage sowie der Lösungsszenarien. Auf die Frage an W. Hesse, wo er die Lösung sieht, antwortet er: Es gibt zahlreiche Ursachen für diesen Krieg, eine davon fortschreitende Demokratiebewegung in der Ukraine, in Georgien und Belarus. Auf der anderen Seite ist aber auch Fakt, Europa und die Atommacht Russland sind Nachbarn. Allein aufgrund dieser Konstellation sind Kompromisse nötig und zwingt beide Seiten zur Einigung. Wie diese abgesichert werden kann, hängt davon, ob und wie Interessen beider ausreichend berücksichtigt werden. Ziel wäre, schrittweise zu verhandeln, um zumindest das Leid der Menschen zu reduzieren. Am aktuellen Beispiel ‚Gaza‘ zeige sich, dass dies möglich ist.
  • Im Kontext einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur wäre es förderlich, zunächst die Interessen Russlands zu verstehen, ebenso von Chinas und Drittstaaten. Was wäre der gemeinsame Nenner, um Russland für eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur zu gewinnen?
  • Für W. Thaa ist die Frage, was die Autoren meinen, wenn sie davon sprechen Russland müsse als gleichberechtigter Partner anerkannt werden. In allen Verträgen, auch dem zwischen den USA, Frankreich, Großbritannien und Russland, der die territoriale Unversehrtheit der Ukraine garantieren sollte, war Russland selbstverständlich als „gleichberechtigter Partner“ anerkannt. Wirtschaftlich hat Deutschland selbst über 2014 hinaus Verträge mit Russland abgeschlossen. Es entsteht bei mir der Eindruck, die Autoren wollen zurück zu einer Situation wie im kalten Krieg, während dem Russland als den USA gleichgewichtige geostrategische Macht, mit eigenem Einflussgebiet anerkannt war.
  • Nach W. Hesse hat jedes Land Sicherheitsinteressen. Sofern aufgrund der NATO- Erweiterung in Russland subjektiv das Gefühl der Gefährdung wächst, müsse man dieses wahrnehmen. Unterschiedliche Einschätzungen erfordern Kompromisse, um Frieden zu sichern.
  • Was ist das Interesse Chinas und welche Rolle könnte es darin spielen? China ist zweifellos ein entscheidender Faktor in diesem Konflikt. W. Hesse sieht im Agieren Chinas aber in erster Linie ein ökonomisches Interesse (Gaslieferungen).
  • Wie kann es überhaupt zu Verhandlungen kommen? Wer und wie schafft man dafür die Voraussetzungen? W. Hesse sieht für Verhandlungen nur eine Chance, wenn beide Seiten für sich einen Vorteil erhoffen und gesichtswahrend herauskommen. Der jüngste Vorschlag von Donald Trump geht in diese Richtung, z. B. keine Nato-Mitgliedschaft für Ukraine.
  • Ein Teilnehmer plädiert dafür, wieder in die Phase am Ende des kalten Krieges zurückzufinden. Es bringt nicht viel, wenn Nato-Länder ihr Verteidigungsbudget auf 5% aufstocken. Die Lösung müsste sein, Russland wieder als gleichberechtigten Partner in ein Gesamtsystem einer Sicherheitsarchitektur einzubinden. Zudem zeigen die vom Westen verhängten Sanktionen gegenüber Russland kaum Wirkung. Auch zeigt sich in Teilen Deutschlands eine Tendenz, weg von Amerika hin zu Russland.
  • Auch die Autoren, so W. Hesse, plädieren für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur und Friedensordnung. Manche sehen bei Verhandlungen eine Gefahr für östliche Länder. Dennoch ist, um Frieden zu erreichen, eine Voraussetzung, gegensätzliche Interessen auszuhandeln. Offen ist derzeit allerdings, wer wann und mit wem verhandelt. Derzeit entsteht der Eindruck, die drei Großmächte verteilen die Welt unter sich. Trump will Grönland, Putin die Ukraine und China Taiwan.
  • Ein Teilnehmer berichtet von Gesprächen mit ‚Russlanddeutschen‘, in denen sich eine eigentümliche Putin-Faszination zeigt. Nach den Autoren wäre Putins Doktrin im Prinzip, verlorene Einflussgebiete wieder zurückzuholen.
  • Ein Teilnehmer hält den 1968 zwischen den drei Atommächten USA, GBR und UdSSR geschlossenen Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen (Kernwaffen) als den wichtigsten Vertrag nach dem Krieg. Russland hat mit dem Ukraine-Krieg diese Nachkriegsordnung aufgekündigt und sich mit Diktaturen, u.a. mit Nordkorea verbündet. Die Frage ist, wie man mit einem Gegenüber verhandeln kann, das sich nicht an Verträge hält. Allerdings erinnert W. Hesse daran, auch von Seiten der USA wurden Verträge nicht eingehalten. So haben die USA den ABM-Vertrag von 1972 formell gekündigt, um das Raketenabwehrsystem NMD installieren zu können. Das zwischen Washington und Moskau geschlossene Abkommen verbot die Aufstellung solcher Systeme. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich allerdings die Interessenlage verändert, verbunden mit neuen Drohkulissen und vergleichbar mit der Zeit des kalten Krieges. Damals standen sich Systeme gegenüber, deren Ziel im Prinzip die gegenseitige Vernichtung war. Ein Ausweg aus der heutigen Krise ist dennoch ein Interessensausgleich durch Gespräche.
  • Eine Teilnehmerin äußert die Sorge, wie groß die Gefahr ist, dass Russland Atomwaffen einsetzt. Russland könnte, so W. Hesse, sofern es in die Defensive gedrängt oder eine Bedrohungssituation geraten würde, bereit sein, kleinere taktische Atomwaffen, die eine regional begrenzte Reichweite haben, einzusetzen.
  • Thaa sieht in der Bewertung durch die Autoren, dass der Nato aufgrund der Erweiterung in Richtung Russland eine Teilschuld zugeschrieben wird. Fakt sei aber, seit den 90er Jahren hat die Nato in Europa abgerüstet. Dafür steht ja vor allem die Bundeswehr, die noch Anfang der 90er Jahre über 3400 Kampfpanzer verfügte, während es zur Zeit des russischen Angriffs auf die Ukraine gerade noch um die 300 waren, von denen ja ein großer Teil nicht mal einsatzfähig sein soll. Dass Putin sich militärisch bedroht fühlen sollte, ist nicht nachvollziehbar. Bedroht fühlt er sich politisch, durch die demokratischen Bestrebungen in der Ukraine, in Weißrussland und in Georgien, die zeitweise ja auch auf Russland überzugreifen schienen.
  • Ein Teilnehmer berichtet von Gesprächen mit Familien aus baltischen Staaten, wonach die Menschen dort inzwischen auf gepackten Koffern leben. Sie fürchten, dass Russland weiter expandiert. Aufgrund dieses Expansionsinteresses Putins ist deren Interesse, dass der ‚Westen‘ die Ukraine nicht aufgibt.
  • Hesse führt abschließend aus, dass die Russen keineswegs Waisenknaben sind und möglicherweise aggressive Expansionsinteressen haben, eine durchaus reale Bedrohung. Schon deshalb müssen Europa und Nato als stabile Säulen des Verhandlungspaketes gestärkt werden. Dennoch bleibt eine Voraussetzung für eine künftige Friedensordnung, verschiedene Interessen wahrzunehmen und von einer Position der Stärke heraus Schritte zu einer De-Eskalierung möglich zu machen, das Eine tun und das Andere nicht lassen.

 

4. Abschluss (Winfried Thaa)

Abschließend dankt Winfried Thaa Wolfgang Hesse für den Impuls zur Lage in der Ukraine sowie den Teilnehmenden für ihre Beiträge, in denen unterschiedliche Sichtweisen erkennbar waren und eine überzeugende Lösung noch nicht absehbar ist.

Karl Schneiderhan informiert noch über den Gesprächskreis am 24.02.2025, einen Tag nach der Bundestagwahl. Aus diesem aktuellen Anlass werden wir, soweit zu diesem Zeitpunkt möglich, die Ergebnisse der Bundestagswahl auswerten.  

 

Kommentare?!?

Schick uns Deinen Text