28.07.2025: 27 Jahre Mitglied des Deutschen Bundestages - Einschätzungen und Erfahrungen von Annette Widmann-Mauz
1. Begrüßung (Karl Schneiderhan)
Herzlichen Willkommen zum heutigen Gesprächskreis an der Stadtbibliothek. Aus dem Sport kennen wir das: Wer einen weiten Sprung nach vorne machen will, der muss zuerst ein paar Schritte zurückgehen. Ebenso verhält es sich im Leben wie in der Politik. Um Zukunft gut gestalten zu können, braucht es zunächst den Blick zurück. Dabei geht es um Fragen wie: Welche Entwicklungen gab es in der Vergangenheit? Was sind die Gründe, warum sich Dinge so entwickelt haben und nicht anders? Welche Faktoren haben Entwicklungen positiv oder negativ beeinflusst? Was lernen wir daraus, um die Herausforderungen der Zukunft gut gestalten zu können? In unserem heutigen Gesprächskreis wollen den Blick auf ca. 30 Jahre Entwicklungen im Deutschen Bundestag richten, eine politisch und gesellschaftlich ereignisreiche Zeit.
Ich freue mich, dazu eine Politikerin und ehemalige Abgeordnete begrüßen zu können, die in verschiedenen Funktionen, u. a. als Teil der Bundesregierung, diese Entwicklung mitgestalten konnte. Liebe Frau Widmann-Mauz, seien Sie in unserem politischen Gesprächskreis an der Stadtbibliothek Rottenburg herzlich willkommen.
Jetzt schon danke ich Karlheinz Rauch und Rudolf Uricher, die den Verlauf des Interviews vorbereitet haben und nun das Interview mit Annette Widmann-Mauz führen werden.
2. Interview mit Annette Widmann-Mauz (Moderation Karlheinz Rauch und Rudolf Uricher; Protokoll Wolfgang Hesse)
(Die Fragen an Annette Widmann-Mauz sind kursiv geschrieben.)
Frau Widmann-Mauz, Sie waren von 1998 bis 2025 Mitglied des Bundestages. Von der Stuttgarter Zeitung sind Sie wohl gefragt worden, warum Sie nicht weitermachen wollen. Sie haben geantwortet, dass Sie damals, als 32-Jährige, in eine neu anbrechende Ära hineingewachsen seien. Jetzt aber sei es an der Zeit, dass andere Leute das Ruder übernehmen. Es beginne eine neue Ära, die auch mit einer Maskulinisierung einhergeht. Können Sie diesen Gedanken konkretisieren? Woran lässt sich festmachen, dass wir in einer Zeitenwende sind?
W-M: Politik verläuft in Zyklen. Ich wurde in der Ära der Bundeskanzler H. Schmidt und H. Kohl geprägt. Nach der Ära Helmut Kohl brauchte es im Bundestag Veränderung: Junge Leute sollten frischen Wind hereinbringen, insbesondere auch mehr Frauen. Als mit A. Merkel erstmals eine Frau Bundeskanzlerin wurde, war das noch sehr ungewöhnlich. In dieser Zeit entstand ein mehr partnerschaftlicher Umgang im Parlament und die Frauenperspektive gewann an Bedeutung. Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag hat sich der politische Stil in den Debatten leider negativ verändert: Dominant sind Polarisierung und Polemisierung, verbale Herabwürdigungen und Beschimpfungen. Das Aufkommen und die extensive Nutzung sozialer Medien haben diese Entwicklung begünstigt. Ein Art Smartphone-Politik habe sich etabliert. Der analytische und kompromissorientierte Diskurs und das Abwägen verschiedener Meinungen sind dabei auf der Strecke geblieben.
Konnten Sie als junge Abgeordnete und als Frau etwas bewegen?
W-M: Ja, die CDU hat sich in den letzten 30 Jahren verändert und mit ihr die Sichtweise auf Themen wie z. B. Frauenerwerbsarbeit, Ganztagesbetreuung oder politisches Engagement von Frauen. Aber es gibt auch harte Brocken, wie z. B. die Steuerklassenkombination III/V. Sie benachteiligt in der Regel Frauen mit geringerem Partnereinkommen und setzt für sie beschäftigungsfeindliche Anreize. 70-80 % der männlichen Kollegen konnten damit gut leben, da sie von den höheren Freibeträgen zunächst profitieren. Nicht zuletzt angesichts des Fachkräftemangels sollten wir aber weiterdenken und die Steuerklasse V abschaffen. Diese Anliegen, von Männern bis heute oft gerne überhört oder sie fragen bei Kollegen nach, ob eine Abschaffung überhaupt sachgerecht sei. Berechtige Anliegen von Frauen wie dieses werden auf diese Art zurückgewiesen oder relativiert. Meine Strategie dagegen bestand schließlich darin, dass ich die Frage an einen männlichen Teilnehmer selbst vorwegnahm, von dem ich wusste, dass dessen Antwort mich bestätigen würde.
Sollte Sie nicht gerade aus diesen Gründen weitermachen?
W-M: Ich bleibe ein politischer Mensch und meine politische Überzeugung habe ich nicht am Ausgang abgegeben. Ich wollte aktiv Politik machen, solange ich dabei mehr Freude als Frust empfinde. Ich bin jetzt aus der ersten Reihe zurückgetreten. Alles hat seine Zeit. Nach 30 Jahren müssen jüngere PolitikerInnen die Verantwortung übernehmen, das ist ihre Zukunft.
Wie muss man das jetzige Kabinett einordnen? Wie schätzen Sie die Regierung ein? Gab es für Sie Überraschungen? Sie ist sachlich nüchtern gestartet, jetzt aber im Dissens und sie hat laut Politbarometer schon Prozente verloren. Spielt bei der Ämterbesetzung Proporz eine Rolle, fachliche Kompetenz oder Loyalität? Was stand bei der Auswahl der Minister im Vordergrund?
W-M: Die Zusammensetzung der neuen Regierung hat mich gar nicht so sehr überrascht. Vielleicht nur, dass der regionale Proporz diesmal eine weniger wichtige Rolle gespielt hat als in der Vergangenheit. Fachliche Kompetenz, Führungserfahrung und persönliche Loyalität sowie ressortübergreifendes Denken und Kommunikationsstärke gaben aus meiner Sicht den Ausschlag. So waren auch die Berufung eines Quereinsteigers wie Karsten Wildberger oder die von Katharina Reiche folgerichtig und kamen für mich nicht völlig überraschend.
Welche Chancen haben Ihrer Einschätzung nach Quereinsteiger?
W-M: Quereinsteiger haben es immer schwerer, da sie die inneren Strukturen des politischen Betriebs noch nicht kennen und ihnen der „Stallgeruch“ fehlt. Der neue Digitalminister muss darüber hinaus auch noch ein gänzlich neues Ministerium aufbauen und die Digitalisierung als Querschnittsthema über alle anderen Ministerien hinaus platzieren. Aus diesen Gründen haben Quereinsteiger am Anfang auch einen gewissen Schutzstatus.
Wie schätzen Sie das bisherige Regierungshandeln ein? Waren die missglückte Richterwahl und die ausgebliebene Erstattung der Stromsteuer an Privatleute Gesetzmäßigkeiten oder wurde man schlecht beraten?
W-M: Das ist eine schwierige Frage. Die Performance der letzten vier Wochen war nicht gut. Zudem gibt es in der Koalition keinen großen Vorrat an Gemeinsamkeiten. Es ist deshalb umso erstaunlicher, dass trotzdem ein Koalitionsvertrag mit vielen wichtigen Projekten zustande gekommen ist. Die Wahl der Richter war schlecht vorbereitet und organisiert. Dabei ist es legitim, einzelne Positionen der Kandidaten zu hinterfragen und auch im Vorfeld der Richterwahl Kritik an einzelnen Personen zu äußern. In einer Koalition sollte man dies jedoch so handhaben, dass Bedenken im Vorfeld vertraulich miteinander besprochen und ausgeräumt werden. Dass aber erst am Ende des Prozesses, nachdem der entsprechende Richterwahlausschuss bereits sein Votum abgegeben hat, grundsätzliche Bedenken in der Fraktion aufkommen, sollte so nicht vorkommen.
Ein Grund für den Dissens bei der Richterwahl liegt sicher in der Auslegung von Art. 1 GG durch Prof. Brosius-Gersdorf und der Frage, ob ungeborenem menschlichen Leben der volle verfassungsrechtliche Würdeschutz zukommt oder nicht. Diese Frage wird einmal mehr bei Auslegung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Regelung zur Kostenübernahme für Schwangerschaftsabbrüche durch Krankenversicherungen relevant werden. Diese wäre nach aktueller Auslegung rechtlich problematisch, da nach § 218 StGB der Schwangerschaftsabbruch mit Ausnahme einer Abtreibung nach Vergewaltigung oder bei medizinischer Indikation grundsätzlich rechtswidrig ist, allerdings unter bestimmten Voraussetzungen und bis zu einer bestimmten Frist straffrei bleibt. Da es sich hierbei juristisch um einen Straftatbestand handelt, ist eine Kostenübernahme durch den Staat im Grundsatz nicht möglich. Käme allerdings ein abgestuftes Würdeschutzkonzept zur Anwendung - wie Prof. Brosius-Gersdorf es vertritt - könnte die Rechtswidrigkeit aufgehoben werden. Für viele in der Union stellt sich die Frage, welche Verabredung es in der Koalition zu diesem Thema gibt, oder hat hier jemand dem anderen etwas untergejubelt? Auf jeden Fall sieht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit anders aus. Kommt in grundlegenden ethischen Fragen so etwas öfter vor, ist das schlecht für die Koalition.
Was wäre eine gute Lösung gewesen?
W-M: Ich teile ihre Auffassung auf diesem Rechtsgebiet überhaupt nicht, in anderen Bereichen wie z. B. zu einem AfD-Verbotsverfahren sieht es anders aus. Die Frage muss doch lauten: Schadet eine Richterin wie Frau Frauke Brosius-Gersdorf dem Bundesverfassungsgericht oder kann sie als eine profunde juristische Stimme die Entscheidungsfindung ergänzen? Sie gehört ohne Zweifel zum weiten Spektrum der Rechtswissenschaft und ihre Wahl ginge damit für mich in Ordnung. Eine Kompensation für andere Entgegenkommen in der Koalition darf es für mich allerdings nicht geben. Dazu ist das Bundesverfassungsgericht zu wichtig für die Wahrung unserer demokratischen Rechtsordnung.
Wie sehen Sie die Wahl des Bundespräsidenten in 1 ½ Jahren? Sind da politische Signalwirkungen zu erwarten, wie manchmal in der Vergangenheit?
W-M: Zunächst stehen im kommenden Jahr in einigen Bundesländern noch Landtagswahlen an, deren Ergebnisse Einfluss auf die Zusammensetzung der Bundesversammlung, also des Wahlgremiums haben werden.
Steht dazu etwas im Koalitionsvertrag, evtl. als nicht veröffentlichter Annex?
W-M: Möglicherweise. Mir ist jedenfalls nichts bekannt. Schriftlich fixierte Nebenabreden hat es in der Geschichte immer wieder gegeben, wie z. B. für die Besetzung der deutschen EU-Kommissare. Der Bundespräsident könnte bspw. auch wieder einmal aus einer kleineren Partei vorgeschlagen werden, wie dies in den 70er Jahren bei der FDP der Fall war. Aber wir haben heute schwierigere Mehrheits- und kompliziertere Koalitionsverhältnisse im Bund und den Ländern.
Die Kommunikations- und Debattenkultur hat sich in den letzten 30 Jahren unterschiedlich entwickelt. Wie schätzen Sie das ein: Färbt der Umgang, wie er in der Politik geschieht, auf die Gesellschaft ab? Wie kommt der Umgang bei den Leuten an?
W-M: Die unter Politikern herrschende Debattenkultur wirkt sich auch auf die Diskussionskultur in der Gesellschaft aus. In den sozialen Medien wird nicht mehr mit realen Menschen diskutiert. Dabei fallen bei den Leuten die Hemmungen. Verrohung und Herabwürdigung von Frauen und ethnischen Minderheiten nehmen zu. Im Parlament baut die AfD in ihre Reden kurze, aggressive Passagen ein, die später in den sozialen Medien aus dem Zusammenhang gerissen veröffentlicht werden. Das führt dort zu einem Wettstreit um die größere Provokation.
Im Bayerischen Landtag hat die Landtagspräsidentin, Frau Aigner einer AFD-Rednerin das Mikrofon abgestellt. Wie bewerten Sie solche Maßnahmen?
W-M: Im Bundestag schreitet die jetzige Bundestagspräsidentin bspw. ein, wenn ein/e Abgeordnete/r als „Lügner” bezeichnet wird. Die Frage, die sich dabei stellt, ist aber: Darf man einen echten Lügner dann noch „Lügner“ nennen? Der Gebrauch des Wortes „Lügner“ sollte nicht generell verboten werden, sondern im Kontext der Faktenlage geprüft werden.
Welche Veränderungen in der Kommunikations- und Debattenkultur hat der Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin gebracht?
W-M: Als neu gewählte Abgeordnete war ich Ende der 90er Jahre nur noch ein Jahr in Bonn. Das kleine Regierungsviertel befand sich dort in einem normalen Wohngebiet. So konnten Abgeordnete spät in der Nacht, wenn nötig bspw. auch in Hausschuhen zur Abstimmung kommen. Berlin ist eine internationale Metropole, in der sich die Dinge ständig verändern. Es gibt ständig neue Baustellen und fast täglich neue Fassaden und Gebäude. Zudem haben die Umbrüche in den Medien (Internet, Smartphone) Kommunikation enorm beschleunigt. Während man in Bonn noch mit Fotokopien und Pressefächern arbeitete und somit Pressemitteilungen über einen Arbeitstag sorgfältig bedenken und formulieren konnte, muss heute blitzschnell reagiert und eine Meldung sekundenschnell ins Netz gestellt werden. Das bedeutet weniger Zeit zur Reflektion, dafür mehr Emotion.
Wie schafft man es, in einem Wahlkreis so erfolgreich zu sein? Sie sind 6x als Direktkandidatin wiedergewählt worden und haben sieben Wahlkämpfe bestritten. Wie haben sich Wahlkämpfe verändert und welche Rolle spielen dabei inzwischen die Sozialen Medien? Wie macht man heute Wahlkampf?
W-M: Ich wollte meine Wahlkämpfe nicht zu stark von sozialen Medien beeinflussen lassen. Früher ging man noch viel in die Gastwirtschaften zum Stammtisch. Die Besucher waren allerdings überwiegend männlich und nicht unbedingt repräsentativ. So ließ sich auf Dauer nur eine immer eingeschränktere Zielgruppe erreichen, weshalb ich mit neuen, unterschiedlichen und auch größeren Diskussions- und Veranstaltungsformen startete. Die Nutzung Sozialer Medien wurde eher von meinen Mitarbeitern angestoßen. Heute sind sie nicht mehr wegzudenken und wurden auch von mir genutzt, außer TikTok.
Die Entscheidung Angela Merkels für die Aufnahme von Flüchtlingen 2015 sehen heute viele kritisch. Wie kam die Entscheidung zustande, was gab den Ausschlag dafür? 2018 bis 2021 waren Sie Staats-Ministerin für Flüchtlinge, Migration und Integration im Bundeskanzleramt. Dabei waren Sie auf verschiedene Ministerien angewiesen, deren Türen nicht immer offenstanden, z. B. Horst Seehofer.
W-M: Ausschlaggebend, dass wir hunderttausenden Menschen Schutz geboten haben, war die Not der Flüchtlinge infolge von Krieg und Zerstörung in Syrien, Genozide durch Islamisten, Folter und die Versklavung von Frauen und Mädchen. Das politische Klima 2014/2015 war, wie Meinungsumfragen aus dem Jahr zeigten, bzgl. Migration und Zuwanderung deutlich positiver als noch in den frühen 90er Jahren. Es herrschte eine große Hilfs- und Aufnahmebereitschaft. Deutschland gewährte Asyl, damit Menschen auf der Flucht vor Krieg und Terror nicht sterben mussten, auch im Bewusstsein und aus Verantwortung aus unserer deutschen Geschichte im Nationalsozialismus.
Anknüpfend an das Migrationsthema: Wie viele Hass- und Drohmails haben Sie bekommen?
W-M: Es waren bis zum Ende meiner Mandatszeit schon eine ganze Menge. Den Großteil davon bekamen zuerst immer meine Mitarbeiter ab, da sie die Postfächer öffneten. Wir unterteilten diese E-Mails in zwei Kategorien: E-Mails mit unflätigen Sprüchen und strafrechtlich relevante E-Mails mit Drohungen und Beleidigungen. Die habe ich auch angezeigt und es laufen noch Verfahren.
Wie haben Sie das verarbeitet? Gibt es Coachingangebote?
W-M: Irgendwie muss man damit selbst klarkommen. Für Kommunalpolitiker sollte es aber in solchen Fällen regelhaft spezielle Hilfsangebote geben. ‚Hate Aid e. V.‘ ist z. B. eine gemeinnützige Organisation, die hilft.
Was war für Sie im Bundestag der lustigste und welches der wüsteste Zwischenruf?
W-M: Das war 2009 kurz vor der Wahl, es war eine Zwischenfrage von Guido Westerwelle nach meiner Rede zur finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung. Es geht bei diesem Vorgang nicht so sehr um das Thema. Dass aber der damalige Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag auf mich reagierte und inhaltlich den Kürzeren zog, das hat mir damals schon gutgetan.
Abschließend bitten die Interviewer, folgende Halbsätze zu vervollständigen:
Wenn die Kirche sich ganz aus der Politik zurückzieht …
W-M: … ist das nicht richtig, weil es christlicher Auftrag ist, wenn es um grundsätzliche Werte geht.
Auch wenn Nachfolgekandidat Christof Naser nicht in Berlin ist, …
W-M: … ist Christoph Naser ein toller Politiker. Und was nicht ist, kann ja noch werden.
Wenn ich Gesundheitsministerin geworden wäre, …
W-M: … hätte auch ich eine schwierige Zeit gehabt.
Der Abstimmung über den Entschließungsantrag zur Verschärfung der Migration blieb ich fern, weil …
W-M: ... ich keine gemeinsame Sache mit der AFD machen wollte. Ich kann nicht an Gedenkfeiern für Eugen-Bolz teilnehmen und gleichzeitig der AfD politische Wirksamkeit verschaffen.
Friedrich Merz schreibe ich ins Stammbuch, …
W-M: …, dass er das, was er beteuert, auch macht, z. B. auch seine Versprechen zur Rolle der Frauen in der Partei.
2011 nahm ich an deutsch-chinesischen Kabinettssitzungen teil, meine wichtigste Erkenntnis daraus war …
W-M: Sie dürfen ihr Gegenüber nie das Gesicht verlieren lassen. Und ein freundliches Gesicht ist noch lange keine Zustimmung in der Sache.
Im Moment erhole ich mich von meiner anstrengenden politischen Tätigkeit. Natürlich mache ich mir nach und nach Gedanken wie es weitergeht. 2027 sehe ich mich, …
W-M: … in der Region fest verankert, vielseitig interessiert und engagiert.
Sie wurden oft als Zuschauerin beim Rottenburger Fasnetsumzug und bei verschiedenen Veranstaltungen gesehen: Ich würde gern einmal unerkannt teilnehmen, verkleidet als …
W-M: Ich mag gern hässliche Figuren, z. B. als richtig wüste Hexe verkleidet.
3. Diskussionsrunde (Protokoll Karl Schneiderhan)
Im Verlaufe der Diskussionsrunde wurden von den Teilnehmenden Anfragen gestellt zum neuen Wahlrecht, zur Lage der neuen Regierung, zu Spielregeln in der Politik und der Gefahr eines Kulturkampfes, zur aktuellen Lage der Parteien, zum Misstrauen gegenüber offizieller Politik und zur AfD. Annette Widmann-Mauz nimmt zu den einzelnen Themen wie folgt Stellung:
- Da inzwischen mehr Parteien im Parlament vertreten sind, war und ist eine Verständigung über ein gemeinsames Wahlrecht immer schwieriger. Die Ampelregierung hatte zudem entgegen der bisherigen üblichen Praxis in der vergangenen Wahlperiode eine Regelung durchgesetzt, ohne vorab eine Einigung mit der Opposition herbeizuführen. Die dabei von der Ampelregierung beschlossene und später vom BfVG verworfene Abschaffung der Grundmandatsklausel hatte den Beigeschmack, kleineren Parteien, wie z. B. CSU und Linke, den Einzug ins Parlament zu erschweren. Allerdings wäre nun aufgrund des Ausscheidens der FDP auch beim alten Wahlrecht die Zahl der Abgeordneten nicht größer gewesen. Die Ampel erhoffte sich mit dem neuen Wahlrecht, ihre Regierungsfähigkeit zu sichern. Man sollte mit dem Wahlrecht keine politischen Ziele verfolgen, die Auseinandersetzung darüber und der Versuch einer Verständigung bedeutet eine Stärkung der Demokratie. Grundsätzlich ist das Verhältniswahlrecht angemessen, es sollte aber sichergestellt sein, dass jeder Wahlkreis den/die direkt gewählte/n Kandidaten/in stellt.
- Das neue Wahlrecht hatte für den Wahlkreis Tübingen/Hechingen nun zur Folge, dass künftig kein Abgeordneter von dort im Bundestag vertreten ist, da der CDU-Kandidat nicht die dafür erforderliche Anzahl von Zweitstimmen erreicht hat. Sie weist darauf hin, dass trotz aller Bedenken seitens der Union, das neue Wahlrecht sich bei CDU-Kandidaten unterschiedlich ausgewirkt hat und es auch innerhalb der Union unterschiedliche Interessenslagen gab. Für die CSU in Bayern war der Erhalt der Grundmandatsklausel besonders wichtig. Nachteile brachte das Wahlrecht insbesondere für CDU-Kandidaten in BW, da die CDU in diesem Bundesland in der Regel eine größere Zahl von Direktmandaten im Verhältnis zu ihrem Zweitstimmenergebnis erreicht als z. B. in NRW.
- Was die Identifikation mit der Partei betrifft, ist realistisch zu sehen, es gibt keine Partei, die in allem so ist, wie ich es mir wünsche. Für die Entscheidung zur Mitarbeit in einer Partei ist entscheidend, mit welcher Partei ich die größte Übereinstimmung bzw. Schnittmenge in den politischen Grundsätzen und Positionen sehe. Sie sei u. a. dennoch in die CDU eingetreten, weil ihr die Frauenfrage wichtig war und sie damals durchaus die Möglichkeit sah, durch ein Engagement in der Partei ihre Schnittmengen bei diesem Thema in der CDU zu vergrößern, was ihr auch gelungen sei. Es sei ein harter Kampf gewesen, aber lohnend. Eine Volkspartei wie die CDU ist nämlich kein monolithischer Block.
- In Bezug auf die Herausforderungen für die neue Regierung und den Folgen für die Stabilität der Demokratie würde sie, wie dies Robin Alexander mit dem Titel seines Buches ‚die letzte Chance‘ formuliert hat, dieser Zuspitzung so nicht zustimmen wollen. Sie sei sich dennoch wohl bewusst, dass wir in einer für Deutschland und Europa gefährlichen Zeit leben, in der es um Krieg, Frieden und Freiheit gehe. Die Auswirkungen der Zollpolitik der USA, der Einfluss und die Rolle von Tec-Milliardären wie Elon Musk und Peter Thiel und deren Demokratie- und Staatsverständnis berge die Gefahr, wirtschaftlich erpressbar zu werden. Dennoch bleibe sie zuversichtlich, dass es uns vielleicht gerade deshalb wieder mehr gelingen könnte, über alle Anschauungen und Meinungen hinweg wieder mehr ins Gespräch zu kommen und über Sachverhalte differenziert diskutieren.
- Bei der Frage, inwieweit sich Spielregeln in der politischen Auseinandersetzung verändert haben, z. B. Vermännlichung der Politik oder das Setzen auf die Kulturkampftradition (vgl. beim Gendern oder Stimmung gegen Wärmepumpe bei der CDU), diese Tendenzen sieht Frau Widmann-Mauz in beiden politischen Lagern. Sie warnt ausdrücklich davor, mit Massen mobilisieren zu wollen, wie dies z. B. die Bewegung ‚Fridays for Future‘ versucht hat. Kulturkampf entsteht dann, wenn wir uns noch im Block-Denken bewegen, insbesondere aber dann, wenn Menschen bei Veränderungen nicht mehr mitkommen oder diese als für sie nicht sinnvoll nachvollziehen können. Dann wird es problematisch.
- In Bezug auf das Phänomen, wie Parteien unter Druck geraten (vgl. Zustimmungswerte bei der AfD in aktuellen Umfragen) oder das zunehmende Misstrauen vieler Bürger gegenüber der offiziellen Politik sieht sie viele Gründe, zum einen das Schüren von Misstrauen gegenüber dem sog. Establishment, was die politische Strategie der AfD ist. Gravierender aber ist, dass sich das Institutionenverständnis geändert hat. Dabei ist die Frage entscheidend, wie gehen politische Funktions- und Mandatsträger mit Kritik um? Weiterhin spielen in diesem Kontext auch Personen eine entscheidende Rolle, inwieweit sie bereit und willens sind, Fehlverhalten zuzugestehen, da ansonsten der Vertrauensverlust noch umso größer ist. Die Frage sei daher, ob diese ihre Selbstheilungskräfte ausreichend mobilisieren können.
- Die AfD vertrete nachweislich verfassungsfeindliche Positionen und trägt erheblich zur Verschlechterung des Debattenklimas in Parlamenten bei. In Bezug auf ein mögliches AfD-Verbot ist zu bedenken, dass Überzeugungen wirksam bleiben. Sie habe sich im Laufe der Jahre viel mit dem Nationalsozialismus beschäftigt und mit der Frage, wie konnte es so weit kommen. Die Erkenntnis daraus ist, wie wichtig es ist, frühzeitig die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Trotz aller Gegenargumente habe sie deshalb zusammen mit weiteren Abgeordneten, den noch in der letzten Legislaturperiode eingebrachten Antrag auf ein AfD-Verbot unterstützt.
- Um die Demokratie zu stärken, sei es notwendig, über politische Fragen mit den Menschen wieder mehr ins Gespräch zu kommen, auch mit den Nachbarn. Die Frage ist, ob wir noch genügend bereit sind, kontrovers miteinander zu diskutieren. Deshalb sollten wir uns trauen, zu sagen, was wir denken und für was wir einstehen.
4. Abschluss und Dank (Karlheinz Rauch und Karl Schneiderhan)
Am Ende der Diskussionsrunde dankt Karlheinz Rauch Annette Widmann-Mauz für den anregenden und informativen Austausch, in dem sie uns an ihren Erfahrungen aus fast 30 Jahre Mitglied im Bundestag teilnehmen ließ.
Karl Schneiderhan dankt den beiden Moderatoren Karlheinz Rauch und Rudolf Uricher für die gute Vorbereitung und professionelle Moderation des Interviews. Abschließend erinnert er an den heutigen Gedenktag, der dem bekannten Komponisten Johann Sebastian Bach gewidmet ist und zitiert ein jüngst veröffentlichtes Zitat des bekannten Dirigenten Christoph Eschenbach: „Wenn Politiker jeden Morgen eine halbe Stunde Johann Sebastian Bach hören würden, wäre die Welt eine andere.“ In der Tat: Wer Bach hört, ist mit einem Bein im Himmel. Denn seine Musik beweist, zu welch unfassbarer Schönheit und Kreativität Menschen fähig sind. Das macht einfach Mut.
Information:
Der Gesprächskreis pausiert im August, der nächste Gesprächskreis findet statt am Montag, 29. September 2025 zur gewohnten Zeit und am gewohnten Ort.
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